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Die Kriegsentschädigung – eine Unmöglichkeit und Weltgefahr

Über die Problematik der Reparationszahlungen

6. Jahrgang, 1921, Heft 18

von Dr. Paul Heile

„Das Reparationsproblem“ – so sagt Englands bedeutendster Wirtschaftsdenker Keynes in seinem kürzlich überall verbreiteten Protestaufsatz gegen die Besetzung des Ruhrgebiets – „ist noch niemals als solches betrachtet worden, d. h. mit dem Ziele, einen praktischen Plan auszudenken, durch den Deutschland wieder aufbauen kann, was in Frankreich zerstört worden ist.“ Man kann diesen Satz dahin ergänzen, daß Frankreich grundsätzlich die restitutio in integrum ablehnt. Von vornherein ist somit statt wirklicher Wiederherstellung Schadenersatz gefordert. Der Begriff Reparation ist zu einer schamhaften Bezeichnung für Kriegsentschädigung geworden. Letzterer Begriff war durch Wilson verpönt. Da man aber eine Kriegsentschädigung haben wollte und zwar die größte, die sich nur irgend erreichen ließ, so mußte an Stelle der Real-Wiederherstellung eine Schadenssumme genommen werden, die man – bei phantasiereicher Schadensschätzung – auf erstaunliche Höhe treiben und durch die Hinzuzählung der Kriegsunterstützungen, Soldaten- und Hinterbliebenenrenten ins Phantastische steigern konnte. So blieb dem gewaltigsten Kriegsraub verbunden mit einer Kriegskontribution, wie sie in solcher Schwere die Geschichte noch nie zuvor gesehen hat, der bescheidene Name Reparation (deutschamtlich noch ungeschickt mit Wiedergutmachung überseht) erhalten.

Paul Heile war Hauptschriftleiter des Wirtschaftsdienst von von 1916 bis 1923 und 1926/27.

Das – gewiß nicht zarte – Gewissen der eigenen Völker und der neutralen Welt, das sich allmählich doch gegen diese Ungeheuerlichkeit zu regen beginnt, sucht man durch die fromme Mär von der alleinigen deutschen Verantwortlichkeit für den Krieg zum Schweigen zu bringen. Die Schuldlüge erhält sich ja um so leichter, als fast die ganze Welt früher mit heroischem Mut im Kampf gegen Deutschland vereint war und dieser Lüge zur Bedeckung der eigenen moralischen Blößen bedarf, zumal auch seitens Deutschlands ein – wenn auch erpreßtes, aber doch von unverdorrter Hand ordnungsmäßig unterschriebenes – Schuldbekenntnis vorliegt. Wenn daher Deutschland auf das Gewissen der Feindvölker und Neutralen als Schutz gegen die ihm jetzt zugemutete Kriegskontribution rechnen wollte, so wäre es verloren. Die Ablehnung des Verzweiflungsangebotes durch Harding zeigt aufs deutlichste, wie sehr selbst die Vereinigten Staaten vor jedem Schritt, der als Unterstützung Deutschlands erscheinen könnte, zurückschrecken. Wir müssen also das neue Diktat als unvermeidlich ins Auge fassen. Unsere einzige Hoffnung ist unsere Überzeugung, daß sich seine Verwirklichung unmöglich erweist, wie wir es so oft betont haben. Ist dies richtig?

Lassen wir hier die rein machtpolitischen Absichten der Franzosen außer Betracht, so lautet die wichtigste Fragestellung: Ist eine Zahlung von 130 Milliarden Goldmark möglich? Hier entsteht wieder die Doppelfrage: Kann Deutschland neben der Deckung seines eigenen sehr reduzierten Bedarfs und neben den zur regulären Bezahlung seines großen Einfuhrbedarfs so viele Ausfuhrgüter erzeugen, daß sie — ihre Verkäuflichkeit zu angemessenem Preis vorausgesetzt — zur Entschädigungszahlung ausreichen? Die ebenso wichtige zweite Frage ist: Gibt es Konsumenten, die diesen Zwangsexport Deutschlands aufzunehmen in der Lage sind?

Während über die erste Frage viel hin und her gestritten ist, ohne daß eine Einigung über die verschiedenen Schätzungen erzielt werden konnte und auch nur denkbar ist, hat die zweite – und für die Verwirklichung aller Projekte ausschlaggebende Frage bereits eine unzweideutig verneinende Antwort durch den Gang der Ereignisse gefunden. In klaren und unanfechtbaren Darlegungen hat in diesem Sinne John Foster-Dulles, dereinst Mitglied der amerikanischen Friedensdelegation, und zwar der engeren Kommission für die wirtschaftlichen Teile des Vertrages, in einer New Yorker Rede (abgedruckt in der „Neuen Züricher Zeitung“) die Undurchführbarkeit der Reparation nachgewiesen. In verkürzter Form seien seine Ausführungen hier wiedergegeben.

Foster-Dulles betont zunächst, daß er stets die deutsche Leistungsfähigkeit sehr hoch eingeschätzt habe und auch jetzt noch glaube, daß Deutschland seinerseits die Pariser Bedingungen erfüllen könnte; aber es sei zum Zahlen nicht nur erforderlich, daß jemand zu geben bereit sei, sondern es müsse auch jemand da sein, der entgegennehmen wolle und könne. Hieran fehle es. Zur Begründung verweist Foster-Dulles auf die Erfahrungen mit der tatsächlichen Wirkung der Reparationsklauseln, die bisher für folgende Realabgaben gemacht sind: Schiffe, Kohlen, Maschinen, Wiederaufbaumaterial, Chemikalien, Farbstoffe und deutsche Arbeitskraft.

  1. Schiffe: „Die Schiffahrtsklauseln verpflichteten Deutschland, praktisch seine ganze Handelsflotte auszuliefern und außerdem noch etwa 200 000 t jährlich für die Alliierten neu zu bauen. Welches ist die Wirkung? Ein englischer Bankier sagte, die englische Regierung habe sich bemüht, die deutschen Schiffe zu verkaufen; mangels Nachfrage hätten ihre Angebote den Markt aber derart niedergedrückt und den Käufern dieser Schiffe somit einen derart niederen Preis verschafft, daß die alten Reeder, die vielleicht 60 $ je Tonne für ihre Schiffe gezahlt hatten, außerstande seien, mit den neuen Eigentümern dieser ehemals deutschen Schiffe zu konkurrieren und sich gezwungen sähen, ihre Schiffe aufzulegen. Ich glaube, daß auf diese Weise jetzt wenigstens eine Million Tonnen alter englischer Schiffe unbeschäftigt ist. Mein Freund sagte mir auch, daß die Folge des deutschen Schiffbaus für englische Rechnung die sei, daß die englische Schiffbauindustrie brachliege, daß viele Arbeiter entlassen werden müßten und das Kapital anderwärts investiert werde. – Es ist interessant, daß die alliierten Reparationssachverständigen jetzt empfohlen haben, von den Vertragsbestimmungen Abstand zu nehmen, die Deutschland auferlegen, für die Alliierten auch weiterhin Schiffe zu bauen. Sie empfehlen auch, Deutschland von der Pflicht zur Lieferung noch weiterer, zur Zeit des Vertragsabschlusses bereits fertiggestellter Tonnage zu befreien, ja sogar einige der bereits ausgelieferten Schiffe Deutschland wieder zurückzuerstatten.“
  2. Kohle: „Kohle ist zweifellos einer der Werte, die man im vollen Umfange der deutschen Leistungsfähigkeit als Reparation verwenden kann. Das ist mindestens für die gegenwärtige Zeit und insoweit Frankreich in Betracht kommt, richtig. Ob es auch noch richtig sein wird, wenn die Kohlenfelder von Lens einmal wiederhergestellt sein werden, ist eine andere Frage. Billige Kohle im Inland und ständige Nachfrage nach Exportkohle bilden eine der wichtigsten Quellen der wirtschaftlichen Kraft Großbritanniens. Wenn aber Frankreich große Mengen kostenfreier Kohlen von Deutschland erhält, so bedeutet das, daß die französische Industrie bei der Verarbeitung von Rohstoffen in Endprodukte einen großen Vorteil über die englische Industrie gewinnt. Es bedeutet, daß der englische Kohlenexport zurückgehen muß... England hat sich unausgesetzt, von seinem Standpunkt aus mit vollem Recht, bemüht, Frankreich daran zu hindern, eine Kohlenbasis zu erringen, die ihm die Kohle billiger stellen würde, als die englische Exportkohle. Indessen mag Kohle den Alliierten für die nächsten drei oder vier Jahre als eine Form direkter Reparation gelten, vielleicht bis zum Maximum von 100 Mill. $ jährlich. Werden aber die französischen Kohlengruben erst einmal wiederhergestellt sein, so wird Frankreichs Stellung der deutschen Kohle gegenüber voraussichtlich ebenso werden, wie die Haltung anderer Alliierten solchen deutschen Werten gegenüber, die ihren eigenen Industrien Konkurrenz machen.“
  3. Maschinen und Wiederaufbaumaterial: „Als diese Bestimmungen entworfen wurden, erklärte mir Herr Loucheur, jetzt Minister im Kabinett Briand, offen, diese Klauseln seien hauptsächlich nur auf politischen Effekt berechnet. Er erklärte mir, er sei heftiger Gegner der Gedankens, Deutschland die Lieferung der in den Zerstörungszonen neu zu installierenden Maschinen und Einrichtungen zu gestatten. Denn wenn die deutsche Maschinerie erst einmal dort eingebaut sein würde, so würden alle Ersatz- und Verbesserungsteile ebenfalls von Deutschland bezogen werden müssen, und nicht minder würden alle Aufträge für Vergrößerungen und Neuanlagen nach Deutschland gehen. Ein kürzlich erstatteter Bericht der Reparationskommission zeigte denn auch, daß Frankreich bis zum Oktober 1920 auch nicht eine einzige Maschine unter Annex IV der Reparationsklauseln von Deutschland akzeptiert hat. Belgien hat einige wenige abgenommen. . . .“
  4. Farbstoffe: „Dasselbe Bild. Während des Krieges ermutigten die Alliierten den Aufbau von Farbstoffunternehmungen in ihren eigenen Ländern. Seit dem Frieden haben fast alle Alliierten Schritte dazu getan, den Import deutscher Farbstoffe zu unterbinden.“
  5. Arbeitskraft: „Ursprünglich bestanden die Franzosen – trotz großen Widerstandes der Amerikaner – mit Beharrlichkeit darauf, daß ihnen zum tatsächlichen Aufbau der zerstörten Gebiete ein Vertragsrecht auf deutsche Arbeitskraft eingeräumt werden müsse. . . . Diese Bestimmungen wurden im letzten Augenblick wieder ausgemerzt, da sie zu sehr den Beigeschmack der Sklaverei trugen. Aber Deutschland bot dann freiwillig an, solche Arbeitskräfte zu stellen. Aber nach langen und eingehenden Diskussionen sah sich die französische Regierung genötigt, Reparation in dieser Form zurückzuweisen.“

„Das Ergebnis ist, daß die Alliierten es ablehnen, wirtschaftliche Werte in großem Maßstabe direkt von Deutschland entgegenzunehmen.“

„…Die  einzige Möglichkeit, die noch zu überlegen bleibt, ist dann eine Operation übers Dreieck, nämlich dergestalt, daß nichtalliierte Länder deutsche Waren kaufen und daß die Werte, die Deutschland aus solchen Verkäufen zufließen, an die Alliierten abgeführt werden. Mit dem Ausdruck „nichtalliierte“ Welt sind in Wirklichkeit die Vereinigten Staaten gemeint! Da sind natürlich auch noch die europäischen Neutralen und Südamerika; aber die vereinigte Kaufkraft dieser Länder ist keineswegs sehr groß, und die Währung einiger von ihnen ist überdies entwertet. Die Vereinigten Staaten, und nur sie, sind es, deren Bevölkerung zahlreich und wohlhabend genug, deren standart of life hoch genug, deren Währung unerschüttert genug wäre, durch eine dreieckige Operation nach Art der von mir beschriebenen große Reparationszahlungen zu ermöglichen. – Aber wird Amerika diese Rolle spielen? Ich glaube, nein! Wir hatten dieselben Erfahrungen mit den deutschen Schiffen. … Wir hatten unsere Erfahrungen mit den deutschen Chemikalien und Farbstoffen... Es wird eine Erhöhung unserer Zolltarife anempfohlen, die darauf abzielen soll, die Konkurrenz ausländischer, von schlechter lebenden Arbeitern geleisteter und darum billigerer Arbeitsprodukte zu verhindern. . . . .“

„Die Alliierten sind durch 20 Monate praktischer Erfahrung über den Schaden belehrt worden, der. ihnen entstünde, wenn sie große Mengen wirtschaftlicher Werte direkt von Deutschland entgegennähmen. . . . Aber ich sehe keinen Grund dafür, warum Amerika nicht dieselbe Haltung einnehmen sollte..“

„Es sind diese Erwägungen, die mich daran zweifeln lassen, ob die Pariser Forderungen an Deutschland jemals durchführbar sein werden. Diese Forderungen übersteigen Deutschlands Leistungsfähigkeit wahrscheinlich nicht, aber die Fähigkeit zu geben ist bedeutungslos, solange nicht eine entsprechende Fähigkeit und ein entsprechender Wille zu nehmen vorhanden ist. In dieser letzteren Hinsicht scheinen mir die Forderungen fehlerhaft.“

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Diese Gedanken werden unterstrichen und ergänzt durch Ausführungen des Vizepräsidenten der National City Bank of New York, George E. Roberts. Ihm gibt die schwere Absatzkrise und der darin sich kundtuende Mangel an Konsumkraft in Europa, speziell in Mitteleuropa, den Anlaß, über die Unmöglichkeit eines dauernd einseitigen Warenlieferungsverkehrs zwischen zwei Ländern nachzudenken. Seine durch den „Foreign Press Service“ verbreiteten Konjunkturbetrachtung seien hier, da der größten Beachtung würdig, ebenfalls zum Teil wiedergegeben:

„Als der Vorschlag, U. S. Amerika solle diese Schulden (und Zinsenrückstand gut 10 Milliarden $) streichen, zuerst gemacht wurde, war, das muß zugegeben werden, das Echo darauf sehr schwach; aber da die Geschäftswelt seither studiert hat, wie internationale Schulden geregelt werden und welchen Einfluß solche Zahlungen auf die Wechselkurse und den Außenhandel haben, ist das Interesse an diesem Vorschlag in ständigem Zunehmen begriffen.

Es stellt sich heraus, daß das Problem, Zahlungen auf diese Schuld zu erhalten, in gewissem Sinne dem Problem sehr ähnelt, dem sich die alliierten Länder in ihren Bemühungen, von Deutschland Entschädigungszahlungen einzubringen, gegenüber sehen; sie wünschen, daß Deutschland große Zahlungen macht, nicht aber, von ihm diese in Waren zu erhalten, die mit ihren eigenen in Wettbewerb treten oder für ihre eigene Arbeiterschaft die Arbeitslosigkeit vermehren. U. S. Amerika hat seit langer Zeit sich auf die Schutzollpolitik festgelegt. Die neue Regierung Harding bilden Männer, die seit je Schutzzöllner gewesen sind, und es ist klar, daß das erste, was auf ihrem Programm steht, eine Revision der Zolltarife nach höheren Sätzen hin sein wird. Es steht überdies fest, daß die öffentliche Meinung in Hinsicht auf die darniederliegende einheimische Industrie jede erhebliche Zunahme der Einfuhr nicht günstig begrüßen wird.

Diese Haltung der Vereinigten Staaten muß unbedingt dahin wirken, daß Deutschland die Wiedergutmachungszahlungen, die ihm auferlegt werden, oder zu denen es sich verpflichtet, einfach nicht zahlen kann. Es darf nicht hoffen, große Guthaben zu seinen Gunsten in Amerika schaffen zu können, die an Frankreich oder andere Gläubiger könnten abgeführt werden. Es wird eine starke Gegnerschaft dagegen bestehen, diese Zahlungen in Waren entgegenzunehmen und doch können sie auf anderem Wege nicht bezahlt werden. Jeder Versuch von seiten Englands oder anderer unserer Schuldner, bei uns sich Guthaben zu schaffen, wird die New Yorker Börse in ernste Konflikte mit unserem Exporthandel bringen. Der Gegenstand ist zu kompliziert, um vom Publikum bereits verstanden zu werden; aber die Beziehung zwischen Börsennotierung und unserem Außenhandel fängt an, verstanden zu werden; die öffentliche Meinung ist an diese Idee noch nicht gewöhnt. Das Beste, was jetzt getan werden kann, ist, alle Zahlungen für einige Jahre hinauszuschieben, bis man die ganze Frage besser begreift.“

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Kurz zusammengefaßt: Die Franzosen wollen keine Wiederherstellung in natura; sie wollen aber auch ebensowenig wie die anderen Schuldgläubiger ihren Forderungssummen entsprechende Gütermengen annehmen; sie, ebensowie andere Völker, vor allem die in erster Linie in Frage kommenden Vereinigten Staaten, panzern sich bereits mit Schutzzöllen gegen jeden direkten oder indirekten Versuch, ihnen Massenlieferungen billiger Waren aufzudrängen, mit deren Erlös sich die Kriegsentschädigungsempfänger bezahlt machen könnten. Aber selbst, wenn die Amerikaner die deutschen Waren kauften, würden die Engländer und Franzosen den Erlös in amerikanischen Erzeugnissen anzunehmen bereit sein? Würden nicht dieselben Abwehrtendenzen auch Amerika gegenüber wirksam werden?

Was bleibt also als mögliche Reparationsleistung?: Lediglich die Herstellung von gedruckten Schuldtiteln in Höhe vieler Milliarden. Eine Papierflut, die in ihrer Plötzlichkeit alle Erlebnisse der Kriegszeit übertrifft! Die deutsche Produktion wird dadurch nicht um ein Atom vergrößert; im Gegenteil, durch den Anblick solcher Schuldenlast, durch die Versuche, mittels Zollerhöhung, Steuerkontrolle usw überall Geld herauszupressen und mittels eines Heeres von müßiggehenden Kontrolleuren und Soldaten die Produktion zu überwachen, wird jede Schaffenskraft gelähmt. Ein starker Rückgang der Produktion ist die wahrscheinliche Folge. Die Spannung zwischen Existenzminimum und Gesamtproduktion wird so gering werden, daß trotz des niedrigen Lebensniveaus kein irgend beträchtlicher Überschuß für Export und Schuldzahlung verbleibt. Welchen Wert haben dann noch die Schuldtitel, mit denen inzwischen die Welt überschwemmt ist, vorausgesetzt, daß nicht schon von vornherein in instinktiver Erkenntnis solcher Wirkungen das Publikum der Gläubigerstaaten und erst recht der anderen Länder den Versuch, die Schuldtitel ihnen zu verkaufen, ablehnt?

Aber gesetzt den Fall, die Milliarden-Schuldtitel werden untergebracht. Dann haben wir dieselbe Erscheinung international, die innerhalb Deutschlands (wie anderer Länder) bereits mit der riesigen Vermehrung des Geldes, der Staatsschuldtitel und all der privaten Rechtstitel eintrat: eine vielfache Menge von Besitztiteln steht der unveränderten Menge von Realgütern und der gleichen Arbeitskraft gegenüber; der bisherige Besitz wird entsprechend entwertet, ungeheure Verschiebungen des Besitzes folgen mit der Tendenz weiterer Konzentration in wenigen Händen, eine ungeheure Preis- und Lohnbewegung ist die weitere Folge. Niemand vermag die Gestaltung der Dinge im einzelnen auch nur annähernd abzuschätzen, aber als Gesamtwirkung ergibt sich eine fast revolutionäre internationale Verschiebung aller Besitzwerte und -rechte und eine Umwertung aller Werte in einer Zeit, die kein dringenderes Erfordernis kennt, als endlich wieder etwas Stabilität zu erhalten. Und das alles letzten Endes nur, um noch kurze Zeit einer internen Besitzvereinigung in den Gläubigerstaaten zu entgehen.

Nach den langen und schweren Kriegsjahren, nach all den ungeheuerlichen Verlusten an Menschenleben und Arbeitskraft und der Verpulverung endloser Gütermengen, besteht überall ein geradezu brennender Bedarf nach Wiederbeginn eines intensiven Güteraustausches zwischen den verschiedenen sich in ihrer Produktion ergänzenden Ländern; trotzdem begegnet der Austausch infolge der großen Schwankungen der Wechselkurse, der stetigen Lohn- und Preisverschiebungen, der Unberechenbarkeit des definitiven Erlöses den größten Schwierigkeiten. Aus Furcht, bei einem Verkauf letzten Endes schlecht abzuschneiden, bleiben die Wareneigentümer auf ihren Waren sitzen, Ungeheure Gütermengen verkommen, die Produktion wird beschränkt, trotzdem gleichzeitig in anderen Ländern die Konsumenten Not leiden, aber nicht kaufen können. Aus Angst vor einen Besitzverlust beim Verkauf oder Tausch wird der ganze Besitz der Gefahr des Verfalls ausgesetzt. Die durch den Krieg geschaffene Besitzverteilung von Land zu Land ist unhaltbar geworden und schreit fast noch mehr nach einem vernünftigen Ausgleich, als der Besitzgegensatz innerhalb der Bevölkerung der einzelnen Länder, aus dem der Bolschewismus seine Nahrung schöpft. Die Unerträglichkeit dieser internationalen Besitzverteilung macht die Wiederherstellung eines ordentlichen und so notwendigen Güteraustausches schier unmöglich Durch zähe Enthaltsamkeit Europas gegenüber den Erzeugnissen der überseeischen Kriegsgewinnländer werden langsam deren Warenpreise gedrückt und damit deren Besitztitel zur notwendigen Abschreibung gebracht. Langsam setzt sich auf dem Wege über Preisrevolutionen die Notwendigkeit einer vernünftigen Besitzverteilung und Arbeitsbewertung durch. Aber nur ganz langsam, so langsam, daß man fast fürchten muß, daß die Maschinerie der Weltwirtschaft ganz stocken könnte.

Und mitten in dieses kritische Stadium der Rückkehr zu einer gesunderen internationalen Wirtschaftsordnung will jetzt Frankreich, unterstützt von England, die Welt mit einer neuen Besitzumwälzung mit allen oben erwähnten unvermeidlichen Folgewirkungen erschüttern, einer Besitzumwälzung, die überdies zu Lasten eines Landes gehen soll, dessen Besitzlage schon heute infolge des Krieges tief unter dem seiner geistigen und physischen Leistung entsprechenden Niveau steht. Wohl noch nie in der Geschichte ist mit solcher Deutlichkeit demonstriert worden, mit wieviel unverantwortlichem Unverstand die Welt regiert werden darf.

*

Fassen wir unsere Ergebnisse zusammen: eine Kriegsentschädigung durch Realleistungen wird nicht gewünscht und wäre auch, wenigstens in dem entsprechenden Ausmaß, undurchführbar. Eine Kriegsentschädigung mit Schuldtiteln bedeutet, falls überhaupt möglich, eine schwere Erschütterung der Weltwirtschaft. Unter diesen Umständen ist man versucht, das Ergebnis in den Satz zu fassen, daß vom wirtschaftlichen Standpunkt die beste Entschädigung keine Entschädigung ist, sondern höchstens eine starke unmittelbare Hilfe beim Wiederaufbau zerstörter Gebiete.

Das deutsche Volk hat keine Machtmittel, um sich gegen das hereinbrechende Geschick zu wehren. Es hat auch keine Hoffnung auf moralische Hemmungen seiner Gegner. Es hat nichts als den Glauben an sich und die früher oder später doch sich durchsetzende Vernunft. Aber, wie die eingangs mitgeteilten Äußerungen führender Männer Amerikas zeigen, wie zunehmende Erklärungen englischer einflußreicher Personen erkennen lassen, wie die Beobachtung der weltwirtschaftlichen Vorgänge, ihrer Zusammenhänge und Abhängigkeiten der gewaltigen internationalen Preisverschiebungen lehrt, bricht die Vernunft sich langsam Bahn. Stärker als politische Macht, als staatliche Zwangsmittel, als papierene Besitztitel erweist sich auf die Dauer die Kraft unermüdlicher Arbeit, die letzten Endes und in ihrer höchsten Wirkung auf den geistigen Fähigkeiten, auf der Durchgeistigung des einzelnen Menschen beruht. Durch Jahrhunderte hindurch hat das deutsche Volk die geistige Entwicklung, die Geisteskultur als seine höchste Aufgabe betrachtet. Jetzt, da man uns alles nehmen will, kann und wird nur der unentziehbare geistige Besitz uns retten. Glauben wir unerschütterlich und mit ganzer Kraft an den Geist, der, wie uns Christus, der Weiseste der Menschen, gelehrt hat, der alleinige und wahrhaft allmächtige Gott ist!

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