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Gezänk um die Entwicklungspolitik

Ein Leitartikel des ehemaligen Chefredakteurs

65. Jahrgang, 1985, Heft 9

von Dr. Dietrich Kebschull

Kritik an der deutschen Entwicklungspolitik ist nicht neu. Ihre Ausrichtung und ihre Wirkungen bieten Politikern, Wissenschaftlern und Interessengruppen immer wieder Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen. Die jüngste Welle macht erneut die umfangreichen Zweifel an der gesamten Idee und Konzeption deutlich. Der Hunger in Afrika und die wachsende Verschuldung werden ebenso einer falschen Entwicklungspolitik angelastet wie die ungelösten internen Probleme vieler Länder der Dritten Welt. Der jüngste Bericht des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Entwicklungspolitik im Jahre 1984 wurde darüber hinaus als Anlaß genommen, um eine Entartung der Hilfe zur Exportförderung zu bemängeln, die zu Lasten der ärmsten Länder und Bevölkerungsgruppen erfolgt.

Dietrich Kebschull (geb. 1940) war Chefredakteur des Wirtschaftsdienst von Dezember 1967 bis 1970.

Abstrahiert man von der häufig unqualifizierten und seit Jahrzehnten immer wieder einmal vorgetragenen Auffassung, daß Hilfe den Entwicklungsländern mehr schadet als nützt, so bleibt es permanente Aufgabe der entwicklungspolitisch Verantwortlichen, sich um Verbesserungen im bestehenden System zu bemühen. Dabei kann eine sachliche Auseinandersetzung mit den Kritikern nur von den allgemein anerkannten Grundzielen ausgehen. Sie definieren Entwicklungspolitik als Hilfe zur Selbsthilfe, vor allem auch für die ärmsten Länder und Bevölkerungsschichten. Um bei relativ geringem Volumen überhaupt nachhaltige Wirkungen erzielen zu können, müssen dafür in den Entwicklungsländern bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sein. Dabei geht es nicht – wie häufig unterstellt – um die Schaffung einer Marktwirtschaft nach deutschem Muster, sondern um die Gewährleistung der Grundbedingungen vernünftigen Wirtschaftens. Ein partnerschaftlicher Dialog zwischen Vertretern des Geber- und Nehmerlandes kann dazu beitragen, diese Bedingungen zu verbessern und die Gefahr von Projektfehlschlägen zu reduzieren. Dabei sollte man sich allerdings stets bewußt sein, daß die Bereitschaft und die Möglichkeiten der Entwicklungsländer, ihre Politik zu ändern, begrenzt sind und daß die Aktions- und Gestaltungsspielräume eines Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegenüber den Interessen anderer Ressorts recht limitiert sind.

Auch die Fähigkeit, den Entwicklungsländern die richtigen Rezepte und Empfehlungen zur Verbesserung ihrer Lage geben zu können, ist nicht zwangsläufig vorhanden. Insofern sind Ansprüche und Erwartungen an den durchaus sinnvollen Politikdialog auf ein realistisches Maß zurückzuschrauben. Die Schaffung geeigneterer Rahmenbedingungen bildet jedoch eine der wichtigsten Aufgaben der Zusammenarbeit, die deshalb auch bei nur bescheidenen Erfolgschancen intensiv fortgesetzt werden sollte. Denn ohne sie bleiben die sinnvollsten Projekte erfolglos und Selbsthilfe eine Illusion.

Besonderes Gewicht hat bei den heute bestehenden Strukturen in Entwicklungsländern die Förderung der ländlichen Entwicklung, der Kleinindustrie und des Handwerks. Hier hat Hilfe zur Selbsthilfe in den meisten Ländern die größten Erfolgsaussichten. Aufgrund der unterschiedlichen Verhältnisse und Bedarfskonstellationen in den Entwicklungsländern können sich die Maßnahmen der Zusammenarbeit jedoch nicht ausschließlich auf diesen Bereich konzentrieren. Für fortgeschrittene Länder sind andere Schwerpunkte der Zusammenarbeit und andere Instrumente wichtig.

Für den Erfolg aller Vorhaben und Maßnahmen kommt es neben den Rahmenbedingungen besonders auf eine sorgfältige Planung und Überwachung an. Hier sind in den fast 30 Jahren deutscher Entwicklungshilfe erhebliche Verbesserungen erzielt worden. Die entsprechenden Bemühungen müssen fortgesetzt werden. Ob die Effizienz dabei durch die vermehrte Verlagerung der Aktivitäten auf private Träger, wie vielfach empfohlen wird, zu steigern ist, bleibt zweifelhaft. Denn nicht-staatliche Einrichtungen – wie Kirchen, Stiftungen und Verbände – sind den staatlichen Trägern nicht ex definitione überlegen. Auch sie müssen sich in einen bestehenden politischen und institutionellen Rahmen einpassen, sind mit zahlreichen Schwierigkeiten bei der Durchführung konfrontiert und benötigen ebenfalls einen umfangreichen Verwaltungsapparat. Außerdem können sie bestimmte Formen der Hilfe – wie etwa die Vergabe langfristiger Kredite – nicht abwickeln. Bevor hier vorschnell neue – scheinbar marktwirtschaftliche – Wege eingeschlagen werden, gilt es, genau zu prüfen, wo die komparativen Vorteile von nicht-staatlichen Trägern tatsächlich liegen und wo sie deshalb mit besonders guten Erfolgsaussichten eingesetzt werden können.

Zur Verbesserung der Qualität ihrer Hilfsmaßnahmen und zur Erhöhung der Wirksamkeit hat die Bundesregierung mit den Bemühungen um einen regelmäßigen Politikdialog einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan. Dies gilt auch für die Beibehaltung der Schwerpunkte ländliche Entwicklung und Unterstützung der ärmsten Länder sowie für die Intensivierung der Förderung von Kleinunternehmen und Handwerk. Daß tiefgreifende Veränderungen in der regionalen Verteilung der Mittel und bei der Trägerstruktur nicht zu verzeichnen sind, ist angesichts der vielfältigen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten keinesfalls ein Nachteil. Wie bei allen neuen Erfolgsrezepten in der Entwicklungspolitik erscheint auch in dieser Frage eine Politik des Augenmaßes mit Blick für das Machbare geboten.

Insoweit läßt sich auch nach dem Regierungswechsel immer noch ein großes Maß an Kontinuität in der deutschen Hilfepolitik feststellen. Dies scheint auch beabsichtigt zu sein. In einem Punkte aber sucht sich Minister Warnke von seinen Vorgängern deutlich abzuheben. Er sieht eine wichtige Aufgabe der Zusammenarbeit in der „Beschäftigungswirksamkeit“ der Hilfe im eigenen Lande. Dies ist zwar in der Tendenz nicht neu, denn alle seine Vorgänger bemühten sich, die Leistungen für die Dritte Welt mit den positiven Auswirkungen auf die eigene Volkswirtschaft zu rechtfertigen; aber unter der jetzigen Regierung hat das Ziel der Förderung der eigenen Beschäftigung einen wesentlich höheren Stellenwert bekommen. So legitim dies vor dem Hintergrund der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zu sein scheint, muß es im Zusammenhang mit Entwicklungspolitik doch Unbehagen auslösen.

Die prioritäre Verfolgung eigener Beschäftigungsziele läßt sich mit den Interessen der armen Länder nur sehr schwer vereinbaren. Denn von ihrer Konzeption her müßte Hilfe auch gegeben werden, wenn damit kein einziger Arbeitsplatz in Deutschland geschaffen oder gesichert würde. Außerdem taugen die in diesem Zusammenhang propagierten Instrumente zur direkten oder indirekten Lieferbindung bei dem relativ geringen Volumen der Leistungen nicht für wirklich spürbare Effekte. Gemessen am Export der deutschen Wirtschaft und der für Lieferungen in Entwicklungsländer vor allem in Frage kommenden wettbewerbsstarken Zweige sind sie von geringer Bedeutung. Wenn aus innenpolitischen Erwägungen dennoch deutsche Firmen bei deutschen Leistungen an die Dritte Welt stärker zum Zuge kommen sollen, so ist dies nur zu vertreten, wenn der entwicklungspolitische Nutzen des entsprechenden Projektes eindeutig feststeht und das deutsche Angebot in Qualität und Preis zumindest gleichwertig ist. Eine solche Ausrichtung ist auch durchaus beabsichtigt. Sie räumt aber die Probleme nicht aus, die sich bei der praktischen Anwendung stellen. Denn hier besteht die Gefahr, daß beflissene Beamte Projekte nicht mehr in erster Linie nach dem entwicklungspolitischen Nutzen auswählen, sondern nach dem Beschäftigungseffekt. Dies wäre im Hinblick auf die eigentlichen Ziele der Hilfe tatsächlich eine Entartung, die sich auch mit dem Hinweis auf längst übliche Praktiken anderer Geberländer nicht bagatellisieren ließe.

Angesichts ihres lange mustergültigen Verhaltens beim Abbau von Lieferbindungspraktiken und des ohnehin geringen Beschäftigungseffekts wäre die Bundesregierung gut beraten, das Prinzip des freien Wettbewerbs, das sie auch im Politikdialog vertritt, in den Beziehungen mit den Entwicklungsländern zu stärken. Die deutsche Wirtschaft dürfte auf lange Sicht mehr von ungebundenen Projekten profitieren, die vor allem den armen Ländern dienen, als von einer kurzfristigen Lieferbindung mit geringem Nutzen für die Nehmer.

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