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Der Hafen von Hamburg

Ein Beitrag des späteren Bundeskanzlers

31. Jahrgang, 1951, Heft 4

von Dipl. rer. pol. Helmut Schmidt, Hamburg

Die Bedeutung eines Seehafens wird von vielerlei verschiedenen Faktoren bestimmt: sie hängt ab von der verkehrsgeographischen Lage zum Hinterland und zu den großen Routen des Überseeverkehrs, von der Leistungsfähigkeit seiner Zubringersysteme auf Schiene, Straße und Binnenwasserstraßen und der Höhe von deren Vorfrachten, von der technischen Ausrüstung des Hafens und der Wirtschaftlichkeit seiner Umschlagsanlagen und last not least: von der Reichweite und der Bedeutung des Außenhandels des eigenen Platzes. In allen diesen Hinsichten hat sich der hamburgische Seeverkehr stets auf ausgezeichnete Grundlagen stützen können: seine im östlichsten Winkel des nassen Dreiecks der Nordsee 100 km landeinwärts gelegene Position am Mündungstrichter der Elbe, der heute bei einer Wassertiefe von 10 m bei mittlerem Niedrigwasser auch den größten Frachtschiffen Zugang gewährt, die gute Verbindung mit Mittel- und Ostdeutschland über die Oberelbe und der schon vor hundert Jahren erfolgte und seitdem ständig ausgebaute Anschluß an das zentral- europäische Eisenbahnnetz haben von jeher seine verkehrsgeographische Lage ausgezeichnet.

Helmut Schmidt (1918–2015), von 1961 bis 1965 Senator in Hamburg, von 1969 bis 1974 Bundesminister und von 1974 bis 1982 Bundeskanzler, hatte nach dem Krieg in Hamburg Volkswirtschaftslehre und Staatswissenschaft studiert. Er beendete das Studium 1949 und war im Anschluss in der von Karl Schiller geleiteten Behörde für Wirtschaft und Verkehr der Freien und Hansestadt Hamburg tätig. Aus dieser Zeit stammt sein Hafen-Artikel für den Wirtschaftsdienst.

 Bild: Bundeswehr/Archiv

Seit jeher gehörte Hamburg zu den weitaus bedeutendsten Häfen des europäischen Kontinents; 1936 bewältigte Rotterdam 31 Mill. t, Antwerpen 23 Mill. t und Hamburg 22 Mill. t im seewärtigen Güterverkehr. Hamburg hat sich mit Recht „Deutschlands Tor zur Welt" genannt. Es war aber gleichzeitig auch das Tor der westlichen Welt nach dem Osten  – Hamburg besaß eine überragende Stellung als Transithafen für den europäischen Südosten und, in geringerem Maße, auch für die Ostsee. Der zweite Weltkrieg hat diese Position schwer erschüttert: der deutsche Außenhandel sank auf Null; die deutsche Handelsflotte, die 1939 über 4 Mill. BRT. umfaßte, wurde bis auf einen kleinen Rest von knapp 200 000 BRT. ältester Küstenschiffstonnage vernichtet oder abgeliefert; der hamburgische Hafen wurde durch den Luftkrieg zu 80 % seiner Kapazität zerstört, die größte Werft wurde als Maßnahme der Demilitarisierungspolitik gesprengt.

Die stärkste Einbuße erlitt der Hamburger Hafen jedoch durch die willkürliche Grenzziehung des Eisernen Vorhangs, der nicht nur Deutschland in zwei beziehungslose Hälften spaltete, sondern darüber hinaus den hamburgischen Hafen des bis dahin wichtigsten und unumstrittenen Teils seines verkehrsmäßigen Hinterlandes beraubte. Ehe der Eiserne Vorhang existierte, entfiel auf den Handel der nunmehr abgetrennten und fast hermetisch abgeschlossenen Teile Deutschlands und Südosteuropas genau 50% des seewärtigen Güterverkehrs in Hamburg. Heute ist der hamburgische Umschlag von und nach diesen Gebieten nur von ganz geringem Umfang (vgl. hierzu Abb. 2 und 3). Die Folge ist eine verschärfte Konkurrenz unter den kontinentalen Nordseehäfen innerhalb des verbliebenen Hinterlandes.

Zielbewußter Wiederaufbau

Die Hansestadt hat sich durch diese schweren Schläge nicht entmutigen lassen. Hamburg hat nach Kriegsende seine Chancen abgewogen und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß infolge der Abspaltung der Hälfte seines Hinterlandes der alte Verkehrsumfang zunächst zwar nicht entfernt wieder erreicht werden wird – trotzdem aber für 1952 mit einem Umschlag von rund 14 Mill. t gerechnet werden darf, d. h. mit rund 50 % des Umschlags der letzten Vorkriegsjahre. Diesen Erwartungen folgend ist der Wiederaufbau des Hafens seit dem Frühjahr 1946 nach zwei jeweils auf vier Jahre abgestellten Wiederaufbauplänen in Angriff genommen worden. Heute sind in der für den hamburgischen Hafen wichtigsten Umschlagsart, im Stück- und Sackgutumschlag, schon wieder 50 % der Friedenskapazität erreicht, während die Kapazitäten für den Umschlag von Getreide und anderen Massengütern sowie für den Umschlag „im Strom" (d. h. direkt zwischen Seeschiff und Binnenschiff ohne Benutzung eines Kais) bereits 60–80 % der Friedenskapazität ausmachen (vgl. hierzu Abb. 4). Diese Wiederaufbauleistung ist ausschließlich mit hamburgischen Mitteln finanziert worden. Hamburg hat, genau wie Bremen, im Gegensatz zu anderen kontinentalen Häfen keinerlei Finanzzuschüsse oder Kredite aus ERP.-Mitteln, aus dem Haushalt der Staatsregierung oder anderen nationalen Fonds erhalten, so daß hierdurch das Zurückbleiben gegenüber der Wiederaufbauleistung z. B. in Rotterdam durchaus erklärlich ist. Hamburg legt aber andererseits auch Wert darauf, seine Hafenaufgaben aus eigener Kraft zu meistern, und hat deshalb die Finanzen der Stadt zu Gunsten des Hafens in unerhörter Weise angespannt und im Hafenwiederaufbau seit Kriegsende 146 Mill. RM/DM investiert; bis einschließlich 1952 sollen weiter rund 100 Mill. DM investiert werden. Damit würden bis Anfang 1953 allerdings nur rund 50 % aller Kriegsschäden beseitigt werden können, die Umschlagskapazität für Stück- und Sackgüter würde jedoch 65 % des Friedensstandes erreichen. Diese Investitionspolitik ist als außerordentlich vorsichtig und zurückhaltend zu beurteilen. Es sind keine Investitionen vorgenommen worden oder beabsichtigt, die nicht durch den angesichts der gegenwärtigen Entwicklung der Weltwirtschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Verkehrszuwachs notwendig werden. Schon im Jahre 1950 hat sich mehrfach gezeigt, daß der Wiederaufbau der Anlagen an manchen Punkten mit der Wiederbelebung des Seeverkehrs nicht immer Schritt gehalten hat.

Außer den in Abb. 4 dargestellten Anlagen besitzt Hamburg heute 300 000 qm Speicherfläche in Lagerhäusern und 40 000 qm Lagerfläche in Kühlhäusern, darüber hinaus Silos für 200 000 t Getreide- und Futtermittel und Tanklagerraum für mehr als 1 Mill. cbm Mineralöle; dazu kommen über 30 großenteils schwimmende Getreideheber, 6 schwimmende Kohlenheber und eine größere Zahl von Schwimmkränen. Der Güterverkehr innerhalb des Hafens wird von 2600 Leichtern (in Hamburg Schuten genannt) bewältigt, über 300 Schlepper stehen zur Verfügung. Erwähnenswert sind die Spezialumschlagsanlagen für den Verkehr mit Südfrüchten, Mineralölen, Kali, Kohlen und Erzen sowie der Fischereihafen.

Betriebsformen

Planung und Ausbau von Strom und Hafen liegen bei der Hafen- und Schiffahrtsverwaltung der Stadt Hamburg. Alle Hafenbecken, Kais, Kaischuppen und die zugehörigen Umschlagsanlagen befinden sich im Eigentum der Stadt. Sie werden  – wie auch der überwiegende Teil der Speicher  – durch eine von der Stadtverwaltung unabhängige, im Eigentum der Stadt stehende Gesellschaft (Hamburger Hafen- und Lagerhaus-A. G.) betrieben; ein Teil der Kaischuppen ist mit den zugehörigen Anlagen auch an private Reedereien verpachtet worden. Getreideheber, Kohlenheber und ein großer Teil der Spezialanlagen v vor allem für den Mineralölumschlag  – befinden sich im Besitz privater Gesellschaften. Die Hafenschiffahrt wird durch viele kleinere Einzelfirmen betrieben.

Die Hamburger Hafen- und Lagerhaus-A. G. und auch die vielen Privatbetriebe des Hafenumschlags und -Verkehrs verfügen über einen großen Stamm ständiger Arbeiter; dem wechselnden Verkehrsanfall entsprechend müssen sie jedoch auch auf sogenannte unständige Hafenarbeiter zurückgreifen. Für diese wurde als gemeinsamer Arbeitgeber die Gesamthafenbetriebsgesellschaft geschaffen, die je nach Anforderung der einzelnen Unternehmen die Arbeiter jeweils auf die Arbeitsplätze verteilt und auch Löhne, Sozialbeiträge usw. zahlt. Den unständigen Hafenarbeitern wird der Lohn für fünf Schichten in der Woche garantiert. Während der Umschlagsarbeiten werden die Arbeiter in sogenannte Gänge eingeteilt, deren Umfang je nach den besonderen Erfordernissen, Größe des Schiffes, Art der Ware usw. zwischen 4 bis 20 Mann schwankt. Die Schichtdauer beträgt in der Regel 8 Stunden; zeitweilig wird in vier Schichten gearbeitet, so daß in eiligen Fällen während Tag und Nacht keinerlei Unterbrechungen des Umschlags notwendig sind.

Flotte und Außenhandel

Gleichzeitig mit den hafenbaulichen Investitionen macht Hamburg große Anstrengungen, um auch die übrigen Grundlagen für die Wiederbelebung des Hafens wieder zu befestigen. So hat Hamburg, gemeinsam mit Bremen, die Führung im Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte an sich genommen; seit 1949 ist durch die Hansestadt ein Betrag von insgesamt 172 Mill. DM an kurz- und langfristigen Krediten für den Wiederaufbau der Handelsflotte aufgebracht worden, und die in Hamburg beheimatete Handelsflotte wuchs im Jahre 1950 von 85 000 auf 375 000 BRT. Sie ist damit jedoch noch weit von ihrem friedensmäßigen Umfang entfernt. Die Fortsetzung dieses Wiederaufbaues wird auch noch nach der Aufhebung der Schiffahrtsbeschränkungen durch die außerordentliche Kapitalnot in Deutschland beeinträchtigt.

Der Seeschiffbau ist die wichtigste Industrie des Hamburger Hafens und der ganzen Stadt. Während auf den Hamburger Werften in Friedenszeiten rund 30 000 Mann beschäftigt waren (und weitere 30 000 in Zulieferungsfertigungen arbeiteten), befand sich der Schiffbau in den ersten Nachkriegsjahren in einer ausgesprochenen Existenzkrise: noch 1949 betrugen die Belegschaften der Werften nur 10 000 Mann, ein großer Teil von ihnen war mit Aufräumungsarbeiten und Reparaturen der Werftanlagen befaßt. Im Jahre 1950 jedoch hat der Seeschiffbau einen erfreulichen Start gehabt. Die Beschäftigungsziffern der Hamburger Werften sind 1950 um rund 5000 Personen gestiegen. Der hamburgische Außenhandel hat sich im letzten Jahr recht günstig entwickelt. Der Anteil der hamburgischen Handelshäuser an der Gesamtausfuhr der Bundesrepublik ist von 7% im Jahre 1949 auf 11% im Jahre 1950 gestiegen, gleichzeitig wickelte der hamburgische Handel 45% der gesamten Einfuhren der Bundesrepublik ab.

Hafenverkehrspolitik

Die schwierigsten Probleme für die weitere Gesundung des Hamburger Hafens ergeben sich jedoch aus der infolge der Potsdamer Grenzziehungen entstandenen Randlage Hamburgs im Verhältnis zu dem langen schmalen Staatsgebiet der Bundesrepublik. Die Haupteinzugsgebiete für den Hamburger Verkehr haben sich aus östlicher Richtung in südliche Richtungen verlagert. Damit ergeben sich neuartige Verkehrsprobleme und vor allem die Notwendigkeit, Hamburg in besserer Weise an das Netz der west- und süddeutschen Autostraßen und Binnenschiffahrtswege anzuschließen. Nach dem Verlust der Elbe als Zubringerweg hat die Eisenbahn für den Hamburger Hafen eine gesteigerte Bedeutung erlangt, und es ist natürlich, daß sich das Hamburger Interesse heute stärker auf die Tarifbildung der Bahn konzentriert.

Hamburg wünscht einen fairen Ausgleich, der den kontinentalen Nordseehäfen gleiche Chancen in den umstrittenen Verkehrsgebieten einräumen soll. Ein Blick auf die bisherige Entwicklung dieser Häfen seit Kriegsende (vergl. Abb. 5) zeigt, daß Hamburg bisher nur einen erheblich geringeren Gewinn aus dem Aufschwung der deutschen Außenwirtschaft gezogen hat als etwa Rotterdam. Hamburg strebt nach einer Gleichstellung der Vorfrachten für die miteinander im Wettbewerb stehenden Häfen. Dabei ist sich die Hansestadt jedoch der Gefahr einer ruinösen Konkurrenz stets bewußt und hofft auf eine Zusammenarbeit der Nordseehäfen, die ja auch von holländischer Seite in Form einer Arbeitsgemeinschaft mehrfach gefordert worden ist.

Umschlagsvolumen

Hamburg ist nicht nur durch die Zerstörungen im Hafen und den Verlust des östlichen Hinterlandes, sondern auch durch schwere Zerstörungen in seiner Industrie ein Zentrum struktureller Arbeitslosigkeit geworden. In den beiden letzten Wintern hat die Arbeitslosigkeit jeweils zwischen 90 000 und 100 000 Arbeitnehmern geschwankt; rund 12 bis 15% aller Arbeitnehmer waren damit arbeitslos. Da aber der Hafen zu Recht als das Herz der hamburgischen Wirtschaft und der Güterverkehr als sein Pulsschlag angesehen werden, so konzentrieren sich Aufmerksamkeit und Interesse Hamburgs auf die „Lebenslinie“, d. h. auf die Kurve des Güterverkehrs zur See (vergl. Abb. 6).

Die Darstellung zeigt, daß der Umschlag sich von Anfang 1949 bis Mitte 1950 gleichbleibend auf etwa 800 000 t monatlich belief, während er seither auf monatlich durchschnittlich 1 Mill. t angestiegen ist. Auf Grund dieser Entwicklung wird für 1951 ein Jahresumschlag von etwa 12 Mill. t erwartet. In den letzten beiden Jahren entfielen in der Einfuhr rund 65% auf Rohstoffe und Halbwaren und rund 30% auf Lebens- und Futtermittel; dabei spielten Mineral- und vegetabile Öle sowie Getreide und Kohlen die größte Rolle. In der Ausfuhr trat in letzter Zeit ein für Hamburg entscheidender Strukturwandel zutage. Die Ausfuhr von Fertigwaren hat sich von 1949 auf 1950 verdoppelt, sie erreicht heute etwa 20 %, während die Ausfuhr von Rohstoffen und Halbwaren rund 65 % beträgt. Besonders bemerkenswert ist jedoch der Anstieg des für die Wirtschaftlichkeit des Hafens entscheidenden Umschlags von Stück- und Sackgütern sowohl in der Einfuhr als auch in der Ausfuhr; der Anteil des Stück- und Sackgutverkehrs am Gesamtumschlag betrug 1950 über 36 % gegenüber knapp 29 % im Vorjahre.

Fast der gesamte Güterumschlag des Hamburger Hafens entfällt auf den deutschen Außenhandel. Während der Transitverkehr vor dem Kriege über 4 Mill. t betrug, erreichte er 1950 nur rund 800 000 t (vergl. Abb. 7). Den größten Anteil hatte der Außenhandel der Tschechoslowakei, während der Seetransit mit den nordischen Ländern im Gegensatz zu Vorkriegszeiten heute minimal ist. Aber auch der Transit mit den Ländern des Südostens ist heute noch völlig unerheblich.

Die Zahl und der Raumgehalt der ankommenden Schiffe hat sich seit Kriegsende stetig gesteigert. Im letzten Jahre führten 22 % aller Schiffe die britische Flagge, auf die niederländische Flagge entfielen 15 %, auf die deutsche Flagge 13 % und auf die norwegische und US-amerikanische Flagge je 11 %, der restliche Anteil entfiel vor allem auf schwedische, dänische und französische Schiffe. Insgesamt wurde Hamburg 1950 wieder durch Schiffe von 34 Nationen angelaufen.

Besonders bemerkenswert ist aber, daß das Liniennetz Hamburgs mit rund 180 Linien den Vorkriegsstand wieder erreicht hat; darunter befinden sich 80 Linien, die Hamburg mit europäischen Plätzen verbinden, und rund 100 Linien nach Übersee.

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