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Zuwanderung nach Deutschland – Problem und Chance für den Arbeitsmarkt

Ein viel gelesener und diskutierter Artikel des Wirtschaftsdienst

94. Jahrgang, 2014, Heft 3

Zuwanderung: aus ökonomischen und demografischen Gründen wichtig für die Zukunft

Thomas Straubhaar

Thomas Straubhaar ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg.

Die Daten sprechen eine deutliche Sprache. Der Zustrom von Ausländern nach Deutschland ist derzeit so stark wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Wie ein Magnet zieht der prosperierende deutsche Arbeitsmarkt Menschen aus den rezessionsgeplagten Ländern der EU an. Erste Schätzungen des Statistischen Bundesamtes rechnen damit, dass 2013 erstmals seit 1993 wieder über 400 000 Personen mehr aus dem Ausland zugezogen als ins Ausland fortgezogen sind (vgl. Abbildung 4). Die ohnehin schon hohen Wanderungsgewinne in den beiden Vorjahren (2011: +279 000, 2012: +369 000) wurden somit im letzten Jahr nochmals übertroffen. Nach einer kurzen Phase als Auswanderungsland (2008 und 2009) ist Deutschland wiederum geworden, was es lange war: ein hoch attraktives Einwanderungsland.

Abbildung 4

Einwanderungssaldo für Deutschland
in 1000 Personen

Quelle: Statistisches Bundesamt: Lange Zeitreihe "Wanderungen" (ab 1950); abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Bevoelkerung/lrbev07.html; für 2013 Schätzung Statistisches Bundesamt: Erneuter Anstieg der Bevölkerung für 2013 erwartet, Pressemitteilung, Nr. 007 vom 8.1.2014.

Vor allem Osteuropa stand im Vordergrund der Herkunftsländer (vgl. Abbildung 5). Im Jahr 2012 lag die Zuwanderung aus Polen an der Spitze vor Rumänien und Bulgarien und den von der Finanzkrise besonders betroffenen südeuropäischen EU-Staaten. So kamen 2012 fast vier Fünftel aller zuwandernden Personen (77,5%) aus einem anderen europäischen Staat nach Deutschland.1 Die EU-Binnenmigration macht mittlerweile 58% des gesamten Zuwanderungsgeschehens nach Deutschland aus. Aus den vierzehn „alten” Staaten der Europäischen Union (EU15 ohne Deutschland) stammten 20,8% und aus den zwölf neuen EU-Staaten (EU12) 43,1% aller Zuwandernden. Dagegen setzt sich der seit 2006 feststellbare Trend weiter fort, dass gegenüber der Türkei ein jährlicher Wanderungsverlust besteht.

Abbildung 5

Zuzüge nach Deutschland 2012
Gesamtzahl: 1 080 936

Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrationsbericht 2012, Nürnberg, Januar 2014, S. 18, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152.

Besonders die mit der Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union erfolgte Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien sorgte zu Jahresbeginn 2014 für politische Schlagzeilen. Ende des letzten Jahres endete die Übergangsregelung, die mit den zum 1. Januar 2007 beigetretenen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien vereinbart worden war. Demgemäß war die Arbeitnehmerfreizügigkeit und in Teilbereichen die Dienstleistungserbringung durch entsandte Arbeitnehmer beschränkt.2 Bereits im Vorfelde stieg die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien deutlich an. Im Falle Rumäniens hat sich die Zahl der Zuzüge zwischen 2006 und 2013 in etwa verfünffacht, im Falle Bulgariens fast verachtfacht.3

Wenig verwunderlich, dass dies mit Blick auf den starken Anstieg der Wanderung aus Osteuropa zum politischen Thema geworden ist. Befürchtet wird, dass Deutschland einem drohenden Ansturm von Armutsflüchtlingen nicht gewachsen sei. Insbesondere dem Sozialmissbrauch müsse ein Riegel vorgeschoben werden. „Wer betrügt, der fliegt“, lautete eine provokant vorgetragene Forderung.4

Eine ganze Reihe unterschiedlicher Studien macht deutlich, wie gerade bei der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien „Wahrnehmung“ und „Wahrheit“, Mythen und Realität auseinanderklaffen.5 Richtig ist, dass der quantitative Anstieg bemerkenswert ausfällt und der weiteren Analyse bedarf. Richtig ist aber auch, dass die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien den deutschen Arbeitsmarkt nicht be-, sondern entlastet hat. So gehören rumänische und bulgarische Staatsbürger zu den qualifizierten und gut integrierten Zuwanderungsgruppen mit einem Qualifikationsniveau, das höher liegt als jenes südeuropäischer EU-Bürger, die nach Deutschland kommen.6 Rumänen und Bulgaren haben in Deutschland eine hohe Beschäftigungs- und eine geringe Arbeitslosenquote verglichen zu Zuwanderern aus anderen Herkunftsländern. „Die Behauptung, dass Wanderungsbewegungen positiv mit hohen Leistungen für Arbeitslose korrelieren würden und es folglich einen 'Sozialstaatstourismus' gäbe, lässt sich für die rumänischen Migranten ebenso wenig empirisch belegen wie im Falle der EU-Binnenmigration im Allgemeinen.“7

Der starke Zuwanderungsstrom hat den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund (insgesamt 16,3 Mio. Personen) an der gesamten deutschen Wohnbevölkerung (von insgesamt 80,5 Mio. Personen) auf 20% ansteigen lassen.8Das ist im internationalen Vergleich ein Anteil, der nahe der Werte klassischer Einwanderungsländer (USA, Kanada oder Australien) liegt. Mit knapp 3,0 Mio. Menschen stellen Personen mit türkischen Wurzeln die größte Gruppe (18,3%) innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (vgl. Abbildung 6). 9,4% (1,5 Mio. Personen) kommen aus Polen, 7,4% (1,2 Mio. Personen) aus Russland, 4,6% aus Italien

Abbildung 6

Personen mit Migrationshintergrund nach Herkunftsland1 2012

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1 Bzw. Herkunftsland mindestens eines Elternteils.
Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrationsbericht 2012, Nürnberg, Januar 2014, S. 190, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152.

Fasst man die Daten zusammen, zeigt sich, dass Deutschland dank seines stabilen Arbeitsmarktes wieder ein hoch attraktives Zuwanderungsland geworden ist und dass in den letzten Jahren so viele Menschen hierherzogen, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Es zeigt sich aber auch, dass Deutschland mit der Zuwanderungs- und Integrationspolitik vieles gut macht, in jedem Fall deutlich besser als in der öffentlichen Meinung wahrgenommen wird.9 Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund verdienen ihr Leben durch eigene Arbeit, zahlen Steuern und unterscheiden sich – je länger sie hier leben – umso weniger von der Aufnahmegesellschaft.

Die Daten für die EU-Binnenwanderung zeigen nicht eine „Armutsmigration“, sondern eine „Arbeitsmigration”. EU-Angehörige wandern, wenn sie einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben und nicht aufs Geratewohl. Die Befürchtung, die Personenfreizügigkeit führe zu einer überproportionalen Zunahme einer Wanderung europäischer Arbeitsloser oder Sozialleistungsbezüger, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: aus der „blue collar“-Wanderung von Gastarbeitern in die Schwerindustrie oder an die Fließbänder der deutschen Industrie ist mehr und mehr eine „white collar“-Migration von vergleichsweise gut qualifizierten Fachkräften geworden. Das hat auch etwas mit dem Strukturwandel der deutschen Wirtschaft von einer Massenindustrie zu einer wissensbasierten Ökonomie zu tun, in der einfachere industrielle Tätigkeiten seltener werden.

Die innereuropäische Migration wird durch die Nachfrage nach Arbeitskräften, nicht durch die Nachfrage nach Arbeit getrieben. Sie ist durch die Verfügbarkeit von Jobs und nicht durch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften bestimmt. Das überrascht nicht wirklich. Denn die Realität entspricht weitgehend der EU-Rechtssetzung. Die Personenfreizügigkeit gewährt Unionsbürgern und ihren (unter Umständen einem Drittstaat angehörenden) Familienangehörigen das Recht auf freie Einreise und Aufenthalt, Niederlassung, freie Arbeitsplatzwahl und den Anspruch auf Gleichbehandlung.10 Nichterwerbstätige Unionsbürger, Rentner und Studierende sind dann freizügigkeitsberechtigt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel für sich und ihre Familienangehörigen verfügen. An sich ist damit ein „Sozialtourismus“ und eine missbräuchliche Zuwanderung in die Sozialsysteme des Aufnahmelandes rechtlich ausgeschlossen – zumindest in der Theorie. In der Praxis sind der Durchsetzung des EU-Rechts und vor allem der Rückschaffung sich illegal aufhaltender Zuwanderer häufig Grenzen gesetzt. Oft hat das aber dann weniger mit „Zuwanderung“ an sich als mit ganz grundsätzlich illegalen Verhaltensweisen wie Schwarzarbeit, Zwangsprostitution, Drogenhandel oder Geldwäsche zu tun.

Die ökonomische Dimension

Obwohl also viele Vorurteile und Sorgen gegenüber der Zuwanderung nur eine schmale oder gar keine empirische Bestätigung finden, müssen die Ängste weiter Teile der Bevölkerung Ernst genommen werden. Als Thilo Sarrazin 2010 seinen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte, hat er ganz offensichtlich einen Nerv der deutschen Politik getroffen.11 Ähnliche populäre bis gar populistische Stimmen gegen die Personenfreizügigkeit verschaffen sich in ganz Europa Gehör. Es gibt sie in Großbritannien (United Kingdom Independence Party), Frankreich (Front National) und Skandinavien (von der Fortschrittspartei in Norwegen, über die Basisfinnen bis zur dänischen Volkspartei) genauso wie in den Niederlanden (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) oder in Italien (Lega Nord).

Bei allen Unterschieden teilen die Protestparteien ein Unbehagen über die freie Mobilität innerhalb der EU. Die Zustimmung der Schweizer zu einer Initiative, die eine befürchtete Masseneinwanderung verhindern und deswegen die freie Personenfreizügigkeit beschränken soll, ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Auch andernorts in Europa lässt sich die Zuwanderungsdiskussion relativ einfach instrumentalisieren, um Urängste bezüglich einer Überfremdung und eines Verlusts nationaler Identität zu stimulieren. Die gemeinsame Front gegen das Fremde hat schon immer einheimische Reihen geeint.

Die Einordnung der Sorgen und Ängste um die Personenfreizügigkeit aus einer ökonomischen Perspektive ist deshalb schwierig, weil sowohl Ursachen wie auch Folgen von Zuwanderung und Integration enorm komplex, vielfältig und schwer zu verallgemeinern sind. Migration ist weder immer gut, noch immer schlecht. Vor- und Nachteile sind stärker als andere Phänomene zeit- und raumabhängig. In konjunkturell guten Zeiten kann Zuwanderung helfen, einen Mangel an Arbeitskräften zu überwinden. In schlechteren Zeiten ist nicht ausgeschlossen, dass sie Lohndruck und Arbeitslosigkeit verschärft. Genauso hängen die Wirkungen vom Können und Wollen der zuwandernden Menschen ab. Dabei geht es in der Regel darum, ob Zuwandernde die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Einheimischen ergänzen oder ersetzen.12

Vor allem aber hängt die Bewertung der Zuwanderung von einer ganz persönlichen Kosten-Nutzen-Überlegung ab. Dabei geht es nicht um eine abstrakte, makroökonomische Objektivität, sondern um eine konkrete, mikroökonomische Betroffenheit. Und nicht alles was gesamtwirtschaftlich positiv ist, wird von einzelnen Menschen als wünschenswert erachtet. Deshalb werden Migrationswirkungen von Person zu Person unterschiedlich bewertet, je nachdem, ob Menschen direkt oder indirekt, unmittelbar oder nur mittelbar positiv oder negativ betroffen sind.

Der Komplexität der Migrationsprozesse wegen ist es enorm schwierig, die makroökonomischen Folgen von Zuwanderung und Integration quantitativ zu messen und insbesondere herauszufiltern, welchen tatsächlichen Beitrag die Migration zu gesamtwirtschaftlichem Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung einer Volkswirtschaft leistet. Für Deutschland gibt es eine Reihe von empirischen Untersuchungen, die abschätzen, welche makroökonomischen Effekte Zuwanderung verursacht.13 Alles in allem teilen die Ergebnisse bei allen Unterschieden doch eine Gemeinsamkeit. Sie zeigen, dass sich Zuwanderung für Deutschland gesamtwirtschaftlich positiv ausgewirkt hat. Insbesondere profitieren die einheimischen Arbeitskräfte langfristig von Zuwanderung.14 In allen Qualifikationsgruppen steigen die Löhne und die Arbeitslosigkeit geht zurück.

Zuwandernde Menschen vergrößern den Pool an Arbeitskräften. Mehr Humankapital wird verfügbar. Dadurch steigt die Kapitalrentabilität. Das wirtschaftliche Wachstum wird stimuliert. Sich selbst verstärkende Effekte fördern diese Wachstumsspirale zusätzlich: So ist die Wahrscheinlichkeit eines positiven Einflusses von besser qualifizierten Zuwanderern auch auf weniger qualifizierte Deutsche besonders hoch.

Richtig bleibt aber auch, dass die ökonomischen Wirkungen der Zuwanderung nicht überschätzt werden sollten. Zuwanderung ist keine eierlegende Wollmilchsau, die alle Probleme der Zukunft nachhaltig zu lösen im Stande ist. Zudem ist eine wohlstandsfördernde effiziente internationale Arbeitsteilung auf verschiedenen Wegen erreichbar. Internationaler Handel sowie grenzüberschreitende Faktorwanderungen können sich in weiten Bereichen gegenseitig ersetzen. Ob Maschinen zu den Arbeitskräften oder umgekehrt Menschen zur Arbeit wandern, hängt von Transaktions- und Transportkosten ab. Deshalb haben die gesamtwirtschaftlichen Migrationseffekte auch viel mehr mit relativen als mit absoluten Wirkungen zu tun.

Die polit-ökonomische Dimension

Bei der Personenfreizügigkeit kommen und bleiben Menschen. Damit sind neben ökonomischen Sphären ebenso unmittelbar politische, soziale und kulturelle Belange berührt. Gesamtwirtschaftliche Mobilitätskosten haben somit auch einen sozioökonomischen und polit-ökonomischen Charakter. Zuwandernde Menschen konkurrieren mit einheimischen Deutschen um Sozialleistungen, die direkt über Beiträge oder indirekt über Steuergelder finanziert werden und um die Nutzung öffentlicher Güter (Rechtsrahmen, Justizwesen, innere und äußere Sicherheit), Infrastrukturanlagen (Verkehrs-, Telekommunikations- und Energienetze) und Dienstleistungen (Gesundheits-, Bildungswesen), die allen zur Verfügung stehen und die direkt über Abgaben und Gebühren oder indirekt über Steuern finanziert werden. Damit wird die Frage zentral, wieweit Einwandernde Sozial- und Fürsorgeleistungen sowie öffentliche Güter durch den Staat beziehen und diese über Steuern, Abgaben und Gebühren auch mitfinanzieren.

Die Frage nach dem Sozialkasseneffekt der Zuwanderung ist ex ante nicht eindeutig zu beantworten. Allein eine empirische Überprüfung liefert hier genauere Erkenntnisse.15 Gerade die Empirie bietet aber gewaltige Methoden- und Datenprobleme. Teile des Transfersystems lassen sich nur mit sehr rudimentären Schätzwerten abbilden. Entsprechend fragmentarisch und widersprüchlich sind dann auch bisherige Ergebnisse. Speziell die Vernachlässigung der Rentenversicherung und der dynamischen Wachstumseffekte geben Anlass zu Diskussionen über die Aussagekraft der empirischen Resultate.16 Zudem sind die Berechnungen zu sehr raum- und zeitbezogen, um sie zu verallgemeinern. In der Regel ist der Sozialkasseneffekt der Zuwanderung an den Konjunkturzyklus des Aufnahmelandes gekoppelt. Er ist eng mit den Möglichkeiten verbunden, die den Zuwandernden auf dem Arbeitsmarkt sowohl konjunkturell als auch einwanderungsrechtlich offen stehen. Nicht zuletzt spielt die Aufenthaltsdauer eine wichtige Rolle. Denn letztlich ist wichtig, wie erfolgreich sich die Zuwandernden integrieren, wie sehr sie in der Lage sind, zu arbeiten und eigenes Einkommen zu erwirtschaften.

Offensichtlich ist, dass Migration für den Sozialstaat dann zum Problem werden kann, wenn zu leicht, zu großzügig und zu unspezifisch flächendeckend Sozialtransfers über zu viele ausgeschüttet werden. Dazu gehören auch eine zu weit gehende Entkoppelung von früheren Leistungen an spätere Ansprüche (Zahlungen) und ein Übergang von beitragsfinanzierter Versicherung zu steuerfinanzierter Grundsicherung. Dann sind die Migrationsprobleme jedoch oft nicht spezifische Probleme der Migration, sondern generelle Probleme des Sozialstaates!

In der Praxis gehören viele der bereits in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund zu den eigentlichen Verlierern weiterer Zuwanderung.17 Die negativen Beschäftigungsfolgen, die Ausländer auf Ausländer haben, lassen sich auf einen einfachen Umstand zurückführen: Wer neu nach Deutschland kommt ist den Menschen mit Migrationshintergrund ähnlicher als den autochtonen Deutschen. Damit fallen die Verdrängungseffekte für Ausländer viel stärker aus als für die Einheimischen. Menschen mit Migrationshintergrund tragen somit die Hauptlast der Zuwanderung.

Folgerungen: Zuwanderung

Entgegen allen Ängsten, Vorurteilen und oft auch populistisch hochgespielten Befürchtungen ist Zuwanderung selten die Ursache von Arbeitsmarktproblemen, oft aber eine Hilfe bei deren Überwindung. Denn Fakt ist, dass die deutsche Bevölkerung schrumpft und altert. Zuwanderung wird diesen demografischen Wandel zwar nicht stoppen, aber doch wenigstens etwas abbremsen können. Sie wird einige Lücken auf dem Arbeitsmarkt schließen. Und sie wird mit zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme beitragen. Somit dürfte eher ein Zuwenig als ein Zuviel an Migration zur eigentlichen Herausforderung für den deutschen Arbeitsmarkt werden.

  • 1 Amtlichen Statistiken folgend, zählt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Europäische Union und europäische Drittstaaten inklusive der Türkei und der Russischen Föderation zu Europa.
  • 2 So galt während einer bis zu sieben Jahren dauernden Übergangsfrist (2+3+2-Modell) - also von 1.1.2007 bis maximal zum 31.12.2013 - noch nationales und nicht EU-Recht. Deshalb benötigten rumänische und bulgarische Staatsangehörige für die Aufnahme von Tätigkeiten, für die keine qualifizierte Berufsausbildung vorausgesetzt wird, noch eine Arbeitserlaubnis in Deutschland.
  • 3 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrationsbericht 2012, Nürnberg, Januar 2014, S. 7, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152 (3.3.2014).
  • 4 Vgl. CSU will härter gegen "Armutszuwanderung" vorgehen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.12.2013, http://www.faz.net/aktuell/politik/sozialleistungen-csu-will-haerter-gegen-armutszuwanderung-vorgehen-12729570.html (3.3.2014).
  • 5 Vgl. dazu die reichhaltige Infoplattform des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB): EU-Freizügigkeit und Zuwanderung aus Südosteuropa, Nürnberg, http://infosys.iab.de/infoplattform/dokSelect.asp?pkyDokSelect=132&sortLit=2&show=Lit (3.3.2014).
  • 6 Vgl. K. Brenke, N. Neubecker: Struktur der Zuwanderungen verändert sich deutlich, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), H. 49, S. 3-21, insbesondere S. 13.
  • 7 Vgl. M. Jobelius, V. Stoiciu: Die Mär vom "Sozialtourismus" - Zuwanderung rumänischer Staatsbürger nach Deutschland und in andere EU-Mitgliedsländer, Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Bonn 2014, S. 4-5; ebenso Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien - Arbeitsmigration oder Armutsmigration, in: IAB-Kurzbericht 16/2013, aktualisiert unter: H. Brücker, A. Hauptmann, E. Vallizadeh: Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit, IAB Nürnberg, Aktueller Bericht vom 23.12.2013.
  • 8 Vgl. Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerung.html;jsessionid=429F1C00A329B040781F4F0CA9FDCE90.cae3 (3.3.2014).
  • 9 Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (Hrsg.): Erfolgsfall Europa? Folgen und Herausforderungen der EU-Freizügigkeit für Deutschland, Jahresgutachten 2013 mit Migrationsbarometer, Berlin 2013, sowie frühere Jahresgutachten, http://www.svr-migration.de/content/?page_id=4760 (3.3.2014).
  • 10 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), a.a.O., S. 43-44; verfügbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152.
  • 11 Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab, München 2010.
  • 12 Vgl. exemplarisch hierzu die als Chiswick-Borjas-Kontroverse in der Literatur ausführlich dargestellte Diskussion über die (empirischen) Wirkungen der Zuwanderung, für Deutschland dargestellt in den Jahresgutachten 2010 und 2011 des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, a.a.O.
  • 13 Vgl. hierzu auch H. Hinte, U. Rinne, K. F. Zimmermann: Zuwanderung, Demografie und Arbeitsmarkt: Fakten statt Vorbehalte, in: A. Heinz, U. Kluge (Hrsg.): Einwanderung - Bedrohung oder Zukunft? Mythen und Fakten zur Integration, Frankfurt 2012, S. 263-278; oder K. F. Zimmermann et al.: Immigration Policy and the Labor Market (The German Experience and Lessons for Europe), Berlin 2007.
  • 14 H. Brücker, E. Jahn, A. Hauptmann, R. Upward: Migration and imperfect labor markets. Theory and cross-country evidence from Denmark, Germany and the UK, in: European Economic Review, 66. Jg., February 2014, S. 205-225, bestätigen empirisch mit Hilfe eines neuen Ansatzes, der es erlaubt, die Lohn- und Beschäftigungswirkungen der Zuwanderung simultan zu schätzen, dass in Deutschland einheimische Arbeitskräfte durch Zuwanderung langfristig gewinnen.
  • 15 Vgl. dazu beispielsweise H. Bonin: Der Finanzierungsbeitrag der Ausländer zu den deutschen Staatsfinanzen: Eine Bilanz für 2004, IZA Discussion Paper, Nr. 2444, Bonn, November 2006; oder ders.: Eine fiskalische Gesamtbilanz der Zuwanderung nach Deutschland, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung/Quarterly Journal of Economic Research, 71. Jg. (2002), H. 2, S. 215-229.
  • 16 Besonders kritisch ist es, wenn bei der empirischen Analyse der Migrationseffekte nicht zwischen ökonomischer und humanitärer Wanderung unterschieden wird. Denn selbstredend "kostet" humanitäres Verhalten etwas. Deswegen müssten bei einer ökonomischen Kalkulation der Zuwanderungswirkungen die Kosten herausgerechnet werden, die Asylsuchende und Flüchtlinge verursachen. Wird aus humanitären Gesichtspunkten Menschen geholfen, die auf der Flucht sind oder in Not stecken, und hat man sich bei Asyl- und Flüchtlingsrecht auf ein bestimmtes Verfahren festgelegt, entstehen für die Aufnahmegesellschaft zwangsläufig Verpflichtungen, die aber weniger mit "Zuwanderung" an sich, sondern mit "Humanismus" zu tun haben.
  • 17 Vgl. H. Brücker et al., a.a.O.

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