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Zuwanderung nach Deutschland – Problem und Chance für den Arbeitsmarkt

Ein viel gelesener und diskutierter Artikel des Wirtschaftsdienst

94. Jahrgang, 2014, Heft 3

Zuwanderung als Chance für Deutschland

Christina Gathmann, Nicolas Keller, Ole Monscheuer

Christina Gathmann ist Professorin für Arbeitsmarktökonomie und Neue Politische Ökonomik am Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg.

Die Daten sprechen eine deutliche Sprache. Der Zustrom von Ausländern nach Deutschland ist derzeit so stark wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Wie ein Magnet zieht der prosperierende deutsche Arbeitsmarkt Menschen aus den rezessionsgeplagten Ländern der EU an. Erste Schätzungen des Statistischen Bundesamtes rechnen damit, dass 2013 erstmals seit 1993 wieder über 400 000 Personen mehr aus dem Ausland zugezogen als ins Ausland fortgezogen sind (vgl. Abbildung 4). Die ohnehin schon hohen Wanderungsgewinne in den beiden Vorjahren (2011: +279 000, 2012: +369 000) wurden somit im letzten Jahr nochmals übertroffen. Nach einer kurzen Phase als Auswanderungsland (2008 und 2009) ist Deutschland wiederum geworden, was es lange war: ein hoch attraktives Einwanderungsland.

Nicolas Keller, Dipl.-Volkswirt, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeitsmarktökonomie und Neue Politische Ökonomik am Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg.

Ole Monscheuer, M.Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeitsmarktökonomie und Neue Politische Ökonomik am Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg.

Einwanderung nach Deutschland

Betrachtet man zunächst die Einwanderungsströme nach Deutschland über die letzten zwei Jahrzehnte, fällt auf, dass die Einwanderung starken Schwankungen unterliegt (vgl. Abbildung 1). Seit der Öffnung der Mauer hat Deutschland zwei Perioden hoher Zuwanderung erlebt: die erste in den frühen 1990er Jahren bedingt durch die Öffnung der Mauer und den Zusammenbruch des Ostblocks; die zweite seit 2008 im Zuge der Euro- und Finanzkrise bzw. der weiteren Verwirklichung der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. In beiden Fällen kamen jährlich 1 Mio. bis 1,2 Mio. Menschen nach Deutschland (Schätzungen für 2013 weisen auf einen weiteren Anstieg der Zuzüge hin), während in den Jahren dazwischen nur etwas mehr als die Hälfte, nämlich 550 000 bis 700 000 Menschen, jährlich nach Deutschland kamen.

Abbildung 1

Zuzüge nach und Fortzüge aus Deutschland
in 1000 Personen

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2012; eigene Darstellung.

Die Zahl der Zuwanderer ist alleine allerdings nur bedingt aussagekräftig, muss sie doch in Relation zur Abwanderung gesehen werden. Es zeigt sich, dass die Nettoeinwanderung nach Deutschland wesentlich geringer ist als die oft in den Medien berichtete Zahl von 1 Mio. Einwanderern suggeriert. Die Nettoeinwanderung bewegt sich seit der Mitte 1990er Jahre zwischen 0 und 225 000 Einwanderern jährlich und sogar einer leichten Nettoabwanderung von Nichtdeutschen. Erst seit 2011 ist die Nettoeinwanderung auf 300 000 bis 400 000 Personen pro Jahr gestiegen. Dieser Einwanderungssaldo liegt allerdings immer noch deutlich unter dem Saldo von fast 600 000 (1992). Insgesamt kann von dauerhafter Masseneinwanderung nach Deutschland kaum die Rede sein, da die Zuwanderung durch gleichzeitige Abwanderung in Teilen kompensiert wird.

Um die ökonomischen Effekte der Einwanderungsströme besser zu verstehen, muss man sich auch die regionale Verteilung der Einwanderer innerhalb Deutschlands vor Augen halten. Wie in anderen Ländern zeigt sich auch in Deutschland, dass Einwanderer vor allem in wirtschaftlich dynamische Regionen ziehen. Die beliebtesten Ziele sind die wirtschaftlich starken Regionen in Süd- und Westdeutschland, aber auch Berlin als Hauptstadt. Relativ zu ihrer Bevölkerung weisen Baden-Württemberg, Berlin und Hessen den größten Zugewinn an Zuwanderung auf. Baden-Württemberg stellt beispielsweise nur 13% der Bevölkerung, jedoch wandern 17,7% der Zuwanderer dorthin. 1 Die ostdeutschen Länder sowie eher ländlich geprägte Bundesländer in Westdeutschland wie Rheinland-Pfalz spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.

Wer sind die Einwanderer?

Nicht nur das Ausmaß der Zuwanderung, sondern auch die Zusammensetzung der Zuwanderer nach Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Kamen noch in den 1960er und den frühen 1970er Jahren vor allem die klassischen Gastarbeiter, etwa aus der Türkei, Jugoslawien, Italien oder Griechenland nach Deutschland, so sind es seit den 1990er Jahren vor allem Einwanderer aus osteuropäischen Ländern und - seit der Euro- und Finanzkrise - auch aus den "alten" EU-Mitgliedstaaten. 2011 stammen zwei von drei Zuwanderern nach Deutschland aus den EU-Mitgliedsländern (vgl. Abbildung 2). Dabei hat besonders die Zuwanderung aus den "neuen" Mitgliedstaaten, die seit 2004 bzw. 2007 Mitglied der EU sind, zugenommen.2 So hat sich die Zuwanderung aus den Beitrittsländern des Jahres 2004 seit deren Beitritt auf fast 300 000 Personen im Jahre 2012 verdoppelt; ein weiterer Anstieg ist mit dem Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit (seit 2011) zu erkennen. Ebenso hat sich die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien seit deren Beitritt von unter 40 000 auf mehr als 170 000 Personen pro Jahr erhöht. Hier ist zu bemerken, dass ein Drittel der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien Deutschland innerhalb eines Jahres wieder verlassen, so dass die Nettozuwanderung aus diesen Ländern wesentlich geringer ist.3

Abbildung 2

Zuzüge aus der EU nach Deutschland

Gestrichelte Linie: jeweiliger prozentualer Anteil (rechte Skala).
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2012; eigene Darstellung.

Eine zweite, vermutlich temporäre Entwicklung der letzten Jahre ist die Zunahme der Zuwanderung aus den "alten" EU-Mitgliedstaaten (EU15). Ihr Anteil an der Zuwanderung nach Deutschland war während der 1990er und frühen 2000er Jahre auf unter 100 000 pro Jahr gefallen. Seit der Euro- und Finanzkrise ist die Zuwanderung insbesondere ab dem Jahr 2010 wieder stark angestiegen, bedingt durch die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland.

Eine zentrale Größe für das Verständnis der ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Migration für Deutschland ist das Humankapital, das die Einwanderer mit sich bringen. Ein hohes Bildungsniveau etwa erleichtert die Integration auf dem Arbeitsmarkt und damit auch die möglichen Vorteile für die deutsche Volkswirtschaft. Das durchschnittliche Bildungsniveau von Zuwanderern im erwerbsfähigen Alter (25 bis 60 Jahre), die zwischen 1990 und 2009 nach Deutschland gekommen sind, ist tatsächlich in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen (vgl. Abbildung 3). Diese positive Entwicklung ist bei männlichen wie auch weiblichen Zuwanderern gleichermaßen zu beobachten. Hier ist vor allem der Anstieg bei den Personen mit Universitätsabschluss hervorzuheben. Während nur 13% der Zuwanderer, die in den frühen 1990er Jahren nach Deutschland kamen, einen Universitätsabschluss vorzuweisen hatten, ist dieser Anteil für Einwanderer, die zwischen 2005 und 2009 nach Deutschland kamen, auf 37% gestiegen.

Abbildung 3

Bildungsniveau von Zuwanderern (nach Jahr des Zuzugs), 1990 bis 2009

Quelle: Mikrozensus, 2009; eigene Darstellung.

Damit ist der Anteil Hochqualifizierter unter den Einwanderern, die seit 2005 nach Deutschland gekommen sind, fast doppelt so hoch wie in der deutschen Erwerbsbevölkerung, von der 19% einen Hochschulabschluss haben. Dagegen hat die Zuwanderung mit mittleren Qualifikationen (abgeschlossene Berufsausbildung) von 50% auf nunmehr 35% stark abgenommen. Darüber hinaus hat sich der Anteil der Geringqualifizierten (ohne berufliche Ausbildung oder Gymnasialabschluss) von einem sehr hohen Niveau (36% für Einwanderer, die bis 2004 nach Deutschland kamen) seit 2005 um 10 Prozentpunkte verringert. Mit 26% liegt der Anteil an Geringqualifizierten aber im Vergleich zu 10% Geringqualifizierten bei der in Deutschland lebenden Bevölkerung immer noch hoch.

Auswirkungen der Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt

Die Furcht vor negativen Auswirkungen von Zuwanderern auf den Arbeitsmarkt steht in der Öffentlichkeit immer wieder im Fokus. Im Zusammenhang mit den EU-Erweiterungen 2004 und 2007 sowie dem Inkrafttreten der Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien seit Januar 2014 wird in Deuschland, aber auch in anderen EU-Ländern wie Großbritannien, die Frage nach den potenziellen ökonomischen Auswirkungen von Zuwanderung wieder vermehrt diskutiert.

Aus ökonomischer Perspektive kann Zuwanderung zu Lohnsenkungen oder höherer Arbeitslosigkeit führen, wenn

  1. die Nachfrage nach Arbeit und der Kapitalstock in der Volkswirtschaft konstant bleiben;
  2. das Arbeitsangebot nicht völlig elastisch ist; und
  3. Einwanderer und einheimische Arbeitnehmer perfekte Substitute sind, d.h. grob gesprochen um die gleichen Jobs konkurrieren. In diesem Fall erhöht die Zuwanderung das Arbeitsangebot, was niedrigere Löhne oder, falls Löhne nicht nach unten flexibel sind, eine höhere Arbeitslosigkeit zur Folge hat.

In diesem Fall verlieren einheimische Arbeitnehmer, die mit Einwanderern um die gleichen Jobs konkurrieren. Kapitalbesitzer und Einheimische, die nicht mit Einwandern um die gleichen Jobs konkurrieren (z.B. wenn Einheimische hochqualifiziert sind, Einwanderer aber vorrangig geringqualifiziert), profitieren hingegen von der Zuwanderung sogar im Falle konstanter Arbeitsnachfrage.

Die Annahme einer gleichbleibenden Arbeitsnachfrage und eines konstanten Kapitalstocks ist allerdings nur auf kurze Sicht realistisch, nicht aber über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Wird diese Annahme aufgegeben, bestehen verschiedene Möglichkeiten, wie sich eine Volkswirtschaft optimal an die neue Situation einer größeren Erwerbsbevölkerung anpassen kann. Zum einen erhalten die Firmen Anreize, vermehrt in den Kapitalstock zu investieren. Im Gleichgewicht bleiben Löhne auf ihrem ursprünglichen Niveau, während die Wirtschaftsleistung insgesamt gestiegen ist. Ein weiterer Anpassungsmechanismus könnte sein, dass Firmen verstärkt in Technologien oder Dienstleistungen investieren, die die zusätzlichen Arbeitskräfte der Einwanderer nutzen. Somit könnte in Deutschland der Mangel an Fachkräften in bestimmten Berufen, der unter anderem durch die demografische Alterung der Gesellschaft verursacht wird, durch Einwanderung aufgefangen werden. Fehlen etwa Fachkräfte in der IT-Branche, bleiben gegebenenfalls Investitionen in diesem Bereich aus, oder Firmen entschließen sich sogar ins Ausland abzuwandern. Gelingt es hingegen, ausländische IT-Experten nach Deutschland zu holen und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, werden die Investitionen in Deutschland getätigt und hier Arbeitsplätze gesichert. Die Zuwanderung stellt daher aus ökonomischer Sicht ein großes Potenzial dar, das langfristig zur Sicherung von Arbeitsplätzen und mehr Wachstum führen kann.

Empirisch kaum negative Konsequenzen der Zuwanderung für den Arbeitsmarkt

Doch wie sieht nun die Wirklichkeit in Deutschland aus? Hat sich die Zuwanderung positiv oder negativ auf Löhne und Beschäftigung der einheimischen Bevölkerung ausgewirkt? Die empirische Literatur zu den Auswirkungen der Zuwanderung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Auch für Deutschland liegen inzwischen Studien vor, die verlässliche Rückschlüsse auf die Arbeitsmarkteffekte der Zuwanderung zulassen.

So analysiert eine neuere Studie die Auswirkungen der Einwanderung von Spätaussiedlern aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, die bis 1993 ohne Begrenzung nach Deutschland einwandern konnten. Ein Kausaleffekt wird empirisch dadurch identifiziert, dass Spätaussiedler den Bundesländern durch einen zentralen Verteilungsschlüssel zugewiesen wurden, unabhängig von der lokalen Arbeitsnachfrage.4 Die Studie findet keine negativen Lohneffekte auf einheimische Arbeitnehmer, jedoch kurzfristige Verdrängungseffekte: pro zehn Zuwanderern, die eine Beschäftigung fanden, waren 3,1 weniger Einheimische beschäftigt.5

Eine Reihe weiterer Studien stützt sich stattdessen auf eine aggregierte Produktionsfunktion, um die Auswirkungen der Zuwanderung in Deutschland zu analysieren. Die zentrale Modellierungsentscheidung ist hier, inwieweit Einwanderer und einheimische Arbeitnehmer als perfekte Substitute betrachtet werden. Wie bereits ausgeführt, sind bei perfekten Substituten kurzfristig negative Lohn- oder Beschäftigungseffekte zu erwarten. Eine Variante dieses Ansatzes unterscheidet Arbeitnehmer nach Bildungsgrad und Berufserfahrung. Einwanderer und Einheimische mit gleichem Bildungsniveau und gleicher Berufserfahrung konkurrieren hier um die gleichen Jobs (sind also perfekte Substitute), während z.B. ein älterer Einheimischer nicht notwendigerweise mit einem jungen Einwanderer um den gleichen Job konkurriert.6 Auf der Basis von Einwanderungsdaten der 1980er und 1990er Jahre ergeben sich keine substanziell negativen Lohn- oder Beschäftigungseffekte. Steigt der Anteil der Einwanderer um 1% der Erwerbsbevölkerung (was etwa einer Nettoeinwanderung von 400 000 entspricht), führt dies zu einer Verringerung des Durchschnittslohnes von weniger als 0,1%. Eine Erweiterung dieses Ansatzes unterscheidet zusätzlich noch zwischen neu zugezogenen Immigranten, schon länger im Land arbeitenden Immigranten sowie einheimischen Arbeitskräften.7 Außerdem berücksichtigen die Autoren, dass viele Zuwanderer in Jobs, die unterhalb ihres Qualifikationsprofiles liegen, arbeiten. Auch hier finden sich keine negativen Lohn- oder Beschäftigungseffekte auf einheimische Arbeitskräfte; wenn überhaupt, sind die Löhne früherer Einwanderer von der Zuwanderung betroffen.8 Einheimische scheinen daher eher von Zuwanderung zu profitieren - was der langfristigen Erwartung in der ökonomischen Theorie mit flexiblem Kapitalstock oder Technologie entspricht.

Die Ergebnisse, die durch zahlreiche Studien in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA gestützt werden, zeigen, dass Zuwanderung im Durchschnitt keine negativen Lohneffekte hat. Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass kein einheimischer Arbeitnehmer jemals Lohneinbußen in Kauf nehmen muss. Wenn Zuwanderer mehrheitlich niedrige Qualifikationen aufweisen, konkurrieren sie vor allem mit anderen Geringverdienern und Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor um Jobs, jedoch nicht mit Arbeitnehmern, die einen abgeschlossenen Berufs- oder Hochschulabschluss vorweisen. Eine Studie aus England zeigt in der Tat, dass die Effekte der Zuwanderung am unteren Ende der Lohnverteilung negativ sind, jedoch für die Mehrheit der Arbeitnehmer positive Lohneffekte existieren.9 Genauer gesagt kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die unteren 40% der Arbeitnehmer in Großbritannien negative Lohneffekte haben, während die oberen 60% der Arbeitnehmer positive Lohneffekte aufweisen. Dementsprechend ist im Durchschnitt ein leicht positiver Lohneffekt zu verzeichnen.10 Zwar lassen sich die konkreten Zahlen nicht ohne weiteres von England auf Deutschland übertragen, doch ist es wahrscheinlich, dass auch hier die negativen Effekte am unteren Ende der Lohnskala konzentriert wären, während Besserverdienende eher von den Zuwanderern profitieren.

Politische Chancen und Herausforderungen

Was lässt sich nun aus der bisherigen Betrachtung folgern und wo liegen die Chancen und politischen Herausforderungen in den nächsten Jahren? Zunächst einmal sind Zuwanderer in Deutschland in den letzten Jahren mit viel mehr Humankapital ausgestattet als die Gastarbeiter der 1960er und 1970er Jahre, aber auch im Vergleich zu den Einwanderern kurz nach dem Mauerfall. Diese Entwicklung ist sehr positiv zu sehen, da die forgeschrittene Volkswirtschaft in Deutschland auf gut ausgebildete Arbeitskräfte angewiesen ist. Die Zuwanderung von gut ausgebildeten Arbeitskräften sollte auch weiterhin verfolgt und aktiv gefördert werden, um den Auswirkungen der alternden deutschen Gesellschaft, insbesondere einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung, entgegenzuwirken.

Jedoch sollte man Einwanderung nicht als Allheilmittel für die alternde Gesellschaft in Deutschland betrachten. Zum einen ist es unwahrscheinlich, dass die Erwerbsbevölkerung allein durch Einwanderung zahlenmäßig konstant gehalten werden kann. Zum anderen lassen sich die grundlegenden Probleme mancher Berufe, wie z.B. die steigende Nachfrage in den Pflegeberufen bei relativ ungünstigen Arbeitsbedingungen und vergleichsweise niedriger Bezahlung, nicht durch Einwanderung alleine lösen. So ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Anwerbeprogramme der Bundesregierung die steigende Nachfrage nach Pflegepersonal auf Dauer bedienen können; stattdessen sind hier prinzipielle Entscheidungen über die Organisation und die Finanzierung des Pflegebedarfs zu treffen, die weitgehend unabhängig von der Einwanderung als solcher sind.

Die zweite wichtige Erkenntnis ist, dass Zuwanderer nach Deutschland vor allem in den letzten Jahren, eine zunehmend heterogene Gruppe darstellen. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Bedürfnisse und Erwartungen der Einwanderer: die Bedürfnisse eines eingewanderten IT-Experten sind andere als die eines Einwanderers ohne Berufsausbildung. Eine Ausnahme bildet hier sicherlich der Erwerb der deutschen Sprache, der generell eine wichtige Grundlage zur erfolgreichen ökonomischen und sozialen Integration von Einwanderern ist. Die Bemühungen der Bundesregierung, das Angebot an Sprach- und Integrationskursen vor allem seit 2005 auszuweiten, sind dabei grundsätzlich positiv zu bewerten.11

Darüber hinaus jedoch erscheint die Schaffung und Erhaltung eines flexiblen Arbeitsmarktes - mit wenig Zugangsbarrieren oder bürokratischen Hürden, dafür aber mit vielfältigen Aufstiegsmöglichkeiten - die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration von Zuwanderern. Ein flexibler Arbeitsmarkt, der vielfältige Beschäftigungs- und Entfaltungsmöglichkeiten für eine möglichst breite Palette von Talenten und Fähigkeiten bietet, ist der beste Garant dafür, dass Einwanderer von Deutschland profitieren und Deutschland von seinen Einwanderern.

  • 1 Statistisches Bundesamt: Fachserie 1, Reihe 1.2., Wiesbaden 2012.
  • 2 Beitrittsländer der EU-Erweiterung 2004: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern; Beitrittsländer der EU-Erweiterung 2007: Bulgarien und Rumänien.
  • 3 Unter allen Zuwanderern sind ein Jahr nach der Ankunft in Deutschland 30% schon wieder abgewandert; für Zuwanderer aus den "alten" EU-Ländern liegt die Quote mit 20% etwas niedriger als für den Durchschnitt.
  • 4 Vgl. A. Glitz: The Labor Market Impact of Immigration: A Quasi-Experiment Exploiting Immigrant Location Rules in Germany, in: Journal of Labor Economics, 30. Jg. (2012), S. 175-213.
  • 5 Eine zweite Studie nutzt die Grenzgängerregelung in Bayern, die Tschechoslowaken seit Anfang der 1990er Jahre das Arbeiten in der Grenzregion Bayerns erlaubte; sie kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie bei den Spätaussiedlern. Vgl. C. Dustmann, U. Schoenberg, J. Stuhler: Empirical Evidence on the local labour market impact of immigration, mimeo, University College London, 2013.
  • 6 Vgl. H. Bonin: Wage and employment effects of immigration to Germany: Evidence from a skill group approach, IZA Discussion Paper, Nr. 1875, Bonn 2005.
  • 7 Vgl. F. D'Amuri, G. I. Ottaviano, G. Peri: The Labor Market Impact of Immigration in Western Germany in the 1990's, in: European Economic Review, 54. Jg. (2010), S. 550-570.
  • 8 Eine weitere Studie erlaubt gar einen segmentierten Arbeitsmarkt; hier sind keine Effekte auf die Arbeitslosigkeit von Einheimischen oder früheren Einwanderungskohorten festzustellen. Vgl. H. Brücker, E. J. Jahn: Migration and Wage-setting: Reassessing the Labor Market Effects of Migration, in: Scandinavian Journal of Economics, 113. Jg. (2011), S. 286-317.
  • 9 Vgl. C. Dustmann, T. Frattini, I. P. Preston: The Effect of Immigration along the Distribution of Wages, in: Review of Economic Studies, 80. Jg. (2013), S. 145-173.
  • 10 Ein positiver Lohneffekt kann zustande kommen, wenn Einwanderer und Einheimische komplementäre Fähigkeiten besitzen. So kann z.B. die Grenzproduktivität eines hochqualifizierten Einheimischen durch die Präsenz niedrigqualifizierter Einwanderer steigen, wenn z.B. Routinetätigkeiten oder Ähnliches delegiert werden können.
  • 11 Evaluationen der Integrationskurse, die höchsten wissenschaftlichen Standards genügen, liegen bisher nicht vor, wären aber zur Bewertung der Wirksamkeit und Kosteneffizienz von großer Bedeutung.

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