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Finanzierungsaufgaben im Bundesstaat

60. Jahrgang, 1980, Heft 5

Ein Zeitgesprächsbeitrag des Bundesfinanzministers

von Hans Matthöfer

Unser bundesstaatliches Finanzierungssystem ist durch eine Vielzahl von Querverbindungen gekennzeichnet. An den wichtigsten Steuern sind Bund und Länder, teilweise aber auch die Gemeinden, gemeinsam beteiligt. Es gibt den horizontalen Finanzausgleich unter den Ländern, es gibt Zuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder, und es gibt den kommunalen Finanzausgleich. Daneben gibt es aber auch noch ein kompliziertes System von Mischfinanzierungstatbeständen, in dessen Rahmen Bund und Länder gemeinschaftliche Finanzierungen vornehmen.

Hans Matthöfer (1925-2009), SPD-Politiker, war von 1974 bis 1978 Bundesminister für Forschung und Technologie, von 1978 bis 1982 Bundesminister der Finanzen und 1982 Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen. Der Diplom-Volkswirt arbeitete nach seinem Studium etliche Jahre für die IG Metall. Nach Beendigung seiner poiltischen Karriere war er von 1987 bis 1997 Vorsitzender des Vorstandes der gewerkschaftlichen Vermögensholding BGAG.

Bild: AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung

Je nach Umfang und Schwergewicht der Aufgaben, die von den Haushaltsebenen des Bundesstaates zu erfüllen sind, können und müssen in diesem System die staatlichen Finanzierungsmittel dort verstärkt eingesetzt werden, wo ein besonders dringlicher Bedarf besteht. Dies ist z. B. durch die in der Verfassung vorgesehene Überprüfung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer möglich. Dies kann auch durch die entsprechende Ausstattung der Gemeinschaftsaufgaben oder durch die Festlegung von Finanzierungsanteilen bei gemeinschaftlich finanzierten Aufgaben erfolgen. Ein optimales finanzwirtschaftliches Verbundsystem muß insgesamt elastisch genug sein, um sich einer Veränderung des Finanzbedarfs in Bund, Ländern und Gemeinden anzupassen.

Das finanzielle Gewicht der einzelnen Aufgaben, die die öffentlichen Haushalte zu erfüllen hatten, hat sich im Laufe der Entwicklung der Bundesrepublik verändert. Nach dem Kriege standen der Wiederaufbau und die Bewältigung der Kriegsfolgelasten im Vordergrund. Die Besatzungskosten und der Aufbau der Bundeswehr sowie der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur waren weitere Aufgaben, die vor allem finanzielle Anforderungen an den Bundeshaushalt stellten. Von dem gesamten Steueraufkommen in der Bundesrepublik flössen seinerzeit mehr als die Hälfte dem Bund zu (1952: 56,4 %; 1962: 52,5 %).

Veränderte Finanzierungsanforderungen

Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von den Kriegsereignissen und nach Beendigung der Wiederaufbauphase veränderten sich die Finanzierungsaufgaben der öffentlichen Haushalte. Die Finanzreform 1969 hat dazu beigetragen, die Verteilung der Finanzmittel auf die Ebenen des Bundesstaates neu zu ordnen. Finanzierungsaufgaben im Bereich des Bildungswesens, des Hochschulbaus, der kommunalen Verkehrseinrichtungen und des Gesundheitswesens, die vorwiegend in der Aufgabenkompetenz der Länder und Gemeinden lagen, traten in den Vordergrund. Der Anteil des Bundes am Gesamtsteueraufkommen wurde zugunsten der Länder und Gemeinden vermindert. 1974 betrug der Anteil des Bundes am Steueraufkommen (nach Abzug der Ergänzungszuweisungen an finanzschwache Länder und nach Abzug der Anteile der Europäischen Gemeinschaften) noch 49,5 %. Gleichzeitig hat sich der Bund, z. B. im Rahmen der Gem inschaftsaufgaben, verstärkt an der Finanzierung von Länderaufgaben beteiligt. Das finanzwirtschaftliche Verbundsystem wurde den veränderten Finanzierungserfordernissen angepaßt.

Die Entwicklung ist seitdem nicht stehen geblieben. Das Schwergewicht der Finanzierungsaufgaben hat sich wiederum verändert. So setzt sich z. B. im Bereich der Länder der rasche Anstieg der Ausgaben für den Bildungsbereich nicht mehr fort. Der Neubau von Krankenhäusern hat dazu geführt, daß auch in diesem Bereich zusätzliche Finanzierungsaufgaben nicht weiter ansteigen. Aber in anderen Bereichen sind neue Aufgaben zu bewältigen, vor allem der Bundeshaushalt hat zunehmende Finanzierungslasten auf sich zu nehmen.

Seit Beginn der krisenhaften weltwirtschaftlichen Entwicklungen in der ersten Hälfte der siebziger Jahre haben wir das finanz- und haushaltspolitische Instrumentarium so breit, aber auch so gezielt wie nie zuvor eingesetzt, um zu einem hohen Beschäftigungsniveau zurückzufinden und ein angemessenes Wirtschaftswachstum zu erreichen. Die finanziellen Lasten der Konjunktursteuerung hatte vorwiegend der Bund zu tragen. Dabei konnte zunächst auf die angesammelten Konjunkturrücklagen zurückgegriffen werden. Daneben wurden in hohem Umfang Kredite in Anspruch genommen, während wegen der verminderten Investitionstätigkeit die privaten Unternehmen hierbei Zurückhaltung übten.

Neue Herausforderungen

Wir haben diese Aufgabe im internationalen Vergleich gut bewältigt. Unsere Politik war erfolgreich. Das Bruttosozialprodukt ist 1979 stärker angestiegen, als wir ursprünglich erwartet haben. Die Bundesregierung konnte in ihrem Jahreswirtschaftsbericht von einem weiteren realen Wirtschaftswachstum von gut 2,5 % ausgehen, eine Erwartung, die wahrscheinlich merklich übertroffen werden wird. Die Arbeitslosigkeit . geht weiter zurück. In manchen Gebieten der Bundesrepublik ist praktisch Vollbeschäftigung erreicht. Die W irtschaft investiert wieder, die Produktion läuft, und die Auftragslage ist in vielen Branchen durchaus zufriedenstellend.

Die Finanzierungsprobleme des Bundeshaushalts sind damit allerdings nicht schlagartig beseitigt. Die konjunkturpolitisch erforderliche hohe Kreditaufnahme, die vor allem der Bund in Kauf genommen hat, wirkt sich in hohen Zinsbelastungsquoten auch noch in den Folgejahren aus. Manche Maßnahme ist auch durchaus noch im Vollzug; sie stützt die wirtschaftliche Entwicklung, belastet aber eben auch den Haushalt.

 Wir haben es in den vergangenen Jahren im übrigen nicht nur mit einer konjunkturellen Wellenbewegung zu tun gehabt. Die Rezession w ar durch die drastische Energieverteuerung und durch eine weitreichende Veränderung der Kostenrelationen überlagert. Die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung verändert sich. Wir importieren heute viele Güter, die früher bei uns hergestellt wurden. Diese Entwicklung stellt auch die staatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik vor neue Herausforderungen. Unsere Wirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel, dessen Probleme sich zum Teil ohne staatliche Hilfe nicht oder nicht rechtzeitig lösen ließen.

 Mehr denn je kommt es für das Industrieland Bundesrepublik darauf an, daß technisch fortschrittliche Entwicklungen in wirtschaftliche Wirklichkeit umgesetzt werden, daß Produktivitätsfortschritte erzielt werden und daß auf breiter Front eine sparsame Verwendung von Energie und ein schonender Umgang mit unserer Umwelt durchgesetzt wird. Der Staat kann sich in dieser Situation nicht aus seiner wirtschaftspolitischen Verantwortung zurückziehen. Er muß sich im Interesse einer funktionierenden Wirtschaft in einem bestimmten Umfang mit finanziellen Dauerlasten abfinden.

 Entlastungsmöglichkeiten

Eine Entlastung der Staatshaushalte ist nur in den durch die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten gezogenen Grenzen möglich. Das gilt insbesondere für den Subventionsabbau. Eine pauschal geführte Debatte über die Rodung des Subventionsdschungels macht - so sehr ich es begrüße - wenig Sinn, wenn sich politische Mehrheiten für vernünftige Vorschläge finden. Die Frage muß lauten, ob und inwieweit durch staatliche Finanzhilfen die Wachstumschancen unserer Wirtschaft verbessert und Wachstumshemmnisse beseitigt sowie Beiträge zur Einsparung von Energie und Rohstoffen geleistet werden. Wo dies der Fall ist, sind Subventionen durchaus sinnvoll. Wo sie nur überkommene Pfründe sind oder gar mehr Schaden als Nutzen stiften, sollten wir sie streichen.

 Hohe Steuervergünstigungen für Abschreibungsgesellschaften, die zu einer volkswirtschaftlich nicht sinnvollen Fehllenkung von Investitionskapital führen, sind z. B. kein Beitrag zur Verbesserung der Wachstumschancen unserer Wirtschaft. Wir haben daher vorgeschlagen, die Möglichkeiten des sogenannten negativen Kapitalkontos einzugrenzen. Das Schicksal dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat wird zeigen, wie ernst man es dort mit dem Abbau von ungerechtfertigten Subventionen nimmt. Die Streichung der Steuervergünstigung für den Mineralölverbrauch bei Sportbooten durch eine Verordnung des Bundesministers der Finanzen ist ein weiteres Beispiel dafür, daß Subventionen nicht mehr tabu sind, wenn klare Entscheidungszuständigkeiten und der Wille zum Handeln besteht.

Dagegen erweisen sich die Maßnahmen, mit denen nicht zuletzt der Bund dazu beigetragen hat, unsere Kohleförderung zu modernisieren und die Förderkapazität zu erhalten, heute als wichtiger Aktivposten in unserer Energiebilanz. Mit hohen Bundeszuschüssen haben wir uns das leistungsfähige, energiesparende und umweltfreundliche Verkehrssystem Bundesbahn erhalten. Sein Wert wird uns noch voll bewußt werden, wenn die Ölpreise weiter steigen oder wenn wir sogar Mengenprobleme bekommen sollten.

 Das Programm zur Förderung von heizenergiesparenden Maßnahmen im Wohnungsbau hat ohne übermäßige staatliche Bevormundung viele Bürger dazu veranlaßt, energiepolitisch äußerst sinnvolle Maßnahmen durchzuführen. Die staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung, insbesondere auch für die mittelständische Wirtschaft, ist ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Innovationsbereitschaft und zur Erhaltung der wirtschaftlichen Dynamik, mit dem der Bund sich besonders stark engagiert hat.

 Verpflichtungen des Bundes

Dies gilt auch im sozialen und familienpolitischen Bereich. Im Zusammenhang mit der Steuer- und Kindergeldreform sind die Finanzierungslasten des Kindergeldes voll auf den Bund übergegangen, ohne daß dafür ein hinreichender Belastungsausgleich zwischen Bund und Ländern stattgefunden hätte. Bei der Sozialversicherung sind, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung, erhebliche Finanzierungsprobleme entstanden. Auch hier haben sich die Konsolidierungsmaßnahmen zumindest indirekt auf den Bundeshaushalt ausgewirkt.

 Die Bundesrepublik muß ferner im internationalen Rahmen zusammen mit unseren Verbündeten zusätzliche Verpflichtungen übernehmen. Als größte Welthandelsnation bleiben wir nicht unberührt, wenn an der Nahtstelle zur Dritten Welt, im mittleren Osten, tiefgreifende Veränderungen vor sich gehen. Wir müssen dazu beitragen, Spannungen einzugrenzen, und Hilfe zur wirtschaftlichen Stabilisierung leisten, z. B. auch in der Türkei. Die Finanzierungsaufgaben im internationalen Bereich und der äußeren Sicherheit fallen ebenfalls in die Zuständigkeit des Bundes.

 Verschuldungsanstieg

Das Gewicht der Finanzierungsaufgaben in unserem Bundesstaat hat sich also - die aufgeführten Beispiele illustrieren dies - zu Lasten des Bundes verlagert. Wir würden die Finanzierungssituation der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik gegenwärtig nur unvollständig beurteilen können, wenn wir den Blick nur auf den überproportionalen Anstieg der Verschuldung des Bundes richten und auf den beengten finanziellen Rahmen, der sich daraus für die Bewältigung seiner Zukunftsaufgaben ergibt. Der Bund muß heute 13 % seiner Aufgaben durch Kredite finanzieren, die Länder nur 7 %, und die Gemeinden kommen zur Zeit mit einer Kreditfinanzierungsquote von 4 % aus.

Die Entwicklung der Deckungsquoten von Bund, Ländern und Gemeinden (also des Ausgabenanteils, der nicht durch Kreditaufnahmen finanziert wird) macht deutlich, daß die ungünstige Finanzausstattung des Bundes bereits seit 1975 anhält (vgl. Übersicht).

Dieser Zustand bedarf der Korrektur. Die verschiedentlich vorgeschlagene Kürzung des sich in der parlamentarischen Beratung befindenden Steuerpakets wäre ein Irrweg, der am Problem vorbeiginge. Die Notwendigkeit, den weiteren Anstieg der Lohnsteuerbelastung im Interesse sozialer Gerechtigkeit und auch der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu verhindern, kann nicht bestritten werden.

 Der progressive Einkommensteuertarif führt dazu, daß jede Einkommenserhöhung einen überproportionalen Anstieg der Lohnsteuer bewirkt. Die steuerlichen Korrekturen, die wir für 1981 vorgeschlagen haben, haben ihren Schwerpunkt bei der Entlastung der Steuerzahler in der Zone der ansteigenden Progression und bei der Entlastung der Familien mit Kindern. Hier geht es nicht um Steuergeschenke, sondern darum, steuersystematischen und steuerpolitischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Ein Verzicht auf diese notwendigen Steuerentlastungen würde zudem nur zum geringen Teil dem Bundeshaushalt zugute kommen. Bei einem Verzicht auf 100 DM Steuerentlastung würden dem Bundeshaushalt nur 42,50 DM zufließen. 57,50 DM erhielten die Länder, obwohl sie an den zusätzlichen Belastungen z. B. aus dem internationalen Bereich nicht beteiligt sind.

 Neuverteilung der Finanzmasse

Die derzeit unzureichende Finanzausstattung des Bundes ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß der Bund mit niedrigeren Anteilen an den verhältnismäßig kräftig steigenden direkten Steuern beteiligt ist, während er im Rahmen des Steuerverbundes stärker an den unterproportional zunehmenden indirekten Steuern beteiligt ist. Das Ergebnis der letzten Steuerschätzung hat gezeigt, daß der Anteil des Bundes am Steueraufkommen bei unveränderter Steuerverteilung in den kommenden Jahren weiter abnehmen würde. Nach Abzug der Ergänzungszuweisungen an die finanzschwachen Länder und der Steueranteile der Europäischen Gemeinschaft verblieben für den Bundeshaushalt 1979 48,5 % des Steueraufkommens; 1984 würden es nur noch 46,9 % sein.

Wir können die anstehenden Finanzierungsprobleme bei einer konjunkturgerechten Neuverschuldung nur lösen, wenn wir die den öffentlichen Haushalten in der Bundesrepublik insgesamt zur Verfügung stehenden Finanzierungsmittel in ausgewogener Weise verteilen. Wenn einzelne öffentliche Haushalte Konsolidierungserfolge erzielen, während gleichzeitig der Bund an die Grenzen seiner Finanzierungsmöglichkeiten gedrängt wird, geraten wichtige Aufgaben in Gefahr, nicht erfüllt werden zu können.

 Aufgaben wie z. B. die Verwirklichung eines gerechten Steuersystems, die Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze, die Modernisierung unserer Wirtschaftsstruktur, die Erfüllung internationaler Verpflichtungen und sicherheitspolitischer Belange können auf Dauer nur erfüllt werden, wenn es gelingt, eine aufgabengerechte Verteilung der Finanzmasse in unserem Bundesstaat zu organisieren. Das Grundgesetz hat die Neuregelung der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern als Mechanismus vorgesehen, um die Finanzausstattung der öffentlichen Haushalte einer veränderten Bedarfssituation anzupassen. Eine solche Anpassung ist heute notwendig.

 Die Instrumente der Mischfinanzierung stellen einen weiteren Regelungsmechanismus dar, der zu einer bedarfsgerechten Finanzierung der Haushalte beitragen kann. Eine Einschränkung oder Abschaffung von Mischfinanzierungstatbeständen und der entsprechenden Mitfinanzierungen des Bundes bedarf jedoch auch sorgfältiger Überlegungen der Länder. Diese Mitfinanzierungen dienen auch dazu, Aufgaben im gesamtstaatlichen Interesse zu erfüllen, ohne daß dies ausschließlich von der unterschiedlichen Finanzkraft der einzelnen Bundesländer abhängig wäre. Die Ausgleichsfunktion der gemeinschaftlichen Finanzierungsregelungen kann durch eine Lockerung des bundesstaatlichen Finanzverbundes kaum wettgemacht werden.

 

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