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Steuerpolitik und Konjunktur

Eine Stellungnahme zur konjunkturpolitischen Debatte in Deutschland

Prof. Richard A. Musgrave, University of Michigan (USA)

36. Jahrgang, 1956, Heft 6

Wir haben den als Finanzwissenschaftler international bekannten Autor gebeten, im Rahmen unserer konjunkturpolitischen Debatte zum Problem „Steuerpolitik und Konjunktur“ Stellung zu nehmen. Der Autor behandelt das Thema aus der Atmosphäre amerikanischen Wirtschaftsdenkens und kommt aus theoretischer Überlegung zu Schlüssen, die vom Tenor unserer konjunkturpolitischen Argumentation erheblich abweichen. Wir freuen uns, diesen Beitrag veröffentlichen zu können, weil er unsere Auseinandersetzung über die Vielschichtigkeit der konjunkturpolitischen Maßnahmen bereichern wird.

Richard Musgrave (1910 - 2007) war ein US-amerikanischer Ökonom deutscher Herkunft. Er studierte zunächst Volkswirtschaft in München und Heidelberg, konnte 1933 aber mit Hilfe eines Stipendiums in die USA gehen, wo er fortan lebte. Musgrave forschte und lehrte unter anderem an der University of Michigan, der Princeton University und der Johns Hopkins University. Er beriet mehrere US-Regierungen, darunter auch die John F. Kennedys. Weltweite Anerkennung erhielt er für sein 1958 veröffentlichtes Lehrbuch "Finanztheorie".

Foto: Harvard University News Office

Die gegenwärtige Diskussion zur Konjunkturpolitik steht weitgehend unter der Parole „Zinsen rauf und Steuern runter". Nun ist die Heraufsetzung des Zinses oder auch die Senkung der Zölle eine allgemein anerkannte Maßnahme zur Dämpfung der Hochkonjunktur, jedoch nicht die Herabsetzung der Steuern. Diese wird in der ökonomischen Literatur gewöhnlich nicht als ein Mittel zur Bekämpfung einer Überspitzung der Hochkonjunktur, sondern als ein Mittel zur Bekämpfung der Depression angesehen. Werden die Steuern gesenkt, so verbleibt der Privatwirtschaft ein größeres verfügbares Einkommen; dies aber wird zu einer Nachfragesteigerung führen, also expansiv wirken. Dieser elementaren Regel zur Folge müßte man dann, angesichts der gegenwärtigen Hochkonjunktur, die Steuern eher erhöhen als senken. Wie ist es dann zu verstehen, daß fast alle Beiträge zur gegenwärtigen Diskussion über die Konjunkturpolitik sich dennoch für eine Steuersenkung aussprechen?

Steuersenkung und Staatsausgaben

Wohl das wichtigste Argument ist, daß eine Herabsetzung der Steuersätze und die sich daraus ergebende Senkung des Steueraufkommens zu einer Verringerung der Staatsausgaben führen würde und daß diese Einschränkung der Staatsausgaben dann die Nachfrage senkt. Diese Folgerung ist richtig, falls die Voraussetzung zutrifft, daß sich bei verringerten Steuereinnahmen die Staatsausgaben auch verringern. Weiter muß man jedoch in Betracht ziehen, daß sich im Falle einer Senkung der Steuersätze die Privatausgaben aus einem gegebenen Bruttoeinkommen erhöhen werden, und dies bewirkt nunmehr eine Ausdehnung der Nachfrage. Ob eine Steuersenkung letztlich nachfrageschmälernd oder nachfragesteigernd wirkt, hängt davon ab, ob die Senkung der öffentlichen Ausgaben stärker bzw. weniger stark ist als die hervorgerufene Erhöhung der Privatausgaben.

In der ökonomischen Diskussion hat man gewöhnlich angenommen, daß die Höhe der Staatsausgaben von der Höhe der Steuereinnahmen unabhängig sei, und hat daraus die Folgerung gezogen, daß eine Erhöhung der Steuersätze und eine hieraus resultierende Erhöhung des Überschusses im Staatshaushalt eine restriktive Politik darstelle. Bei realistischer Betrachtung muß zugegeben werden, daß diese Unabhängigkeit nicht immer besteht. Unter den gegebenen Verhältnissen in Deutschland könnten die Staatsausgaben wohl sinken, wenn man die Steuersätze verringerte. Dies bedeutet aber nicht, daß bei einer jeden Reduzierung der Steuereinnahmen um 1 Milliarde auch die öffentlichen Ausgaben um 1 Milliarde fallen würden. Wenn dem so wäre, hätte kaum die Möglichkeit bestanden, einen Juliusturm zu errichten und aus dieser Politik später noch zu erwähnende konjunkturpolitische Vorteile zu ziehen. Die Staatsausgaben würden also bestenfalls um einen Bruchteil der verringerten Einnahmen fallen. Andererseits muß man annehmen, daß in der jetzigen Hochkonjunktur das Ansteigen der Privatausgaben nicht weit hinter dem Betrag der Senkung der Steuereinnahmen zurückbleiben würde. Wir kommen also zu dem Resultat, daß eine Steuerherabsetzung dahin tendierte, die Ausgaben im privatwirtschaftlichen Sektor mehr zu vergrößern als die öffentlichen Ausgaben zu verringern. Die Gesamtwirkung wäre also expansiv und nicht angebracht in einer Situation der Hochkonjunktur, die restriktive Maßnahmen erforderlich macht. Gleichzeitig bleibt natürlich eine Verringerung der Staatsausgaben mit gleichbleibenden Steuersätzen (das bedeutet also eine Erhöhung des Juliusturmes) konjunkturpolitisch wünschenswert; dies erfordert jedoch eine Anerkennung der wirtschaftlichen Funktion der Überschußpolitik.

Steuersenkung und Spartätigkeit

Weiter wird argumentiert, daß eine Steuersenkung dann konjunkturpolitisch wünschenswert sei, wenn sie zu einer Steigerung der Spartätigkeit beitrage. Diesem Zwecke dienen beispielsweise auch Vorschläge, die darauf abgestellt sind, eine allgemeine Einkommensteuersenkung mit Sondervergünstigungen für die Sparkapitalbildung auszustatten.

Dieses Argument wäre akzeptabel, wenn man annehmen dürfte, daß eine Steuersenkung, die in gleicher Höhe zu zusätzlichem Sparen führt, sich nicht in größeren Investitionsausgaben niederschlägt, also nicht, expansiv wirkt. Eine solche Steuersenkung würde dem Ziele der Gesamtausgabenbeschränkung weder zuträglich noch abträglich sein und wäre deshalb vorteilhafter als eine Steuersenkung, die in größeren Verbrauchsausgaben resultiert. Diese Annahme aber ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen kaum treffend. Erhöhtes Sparen würde ohne Zweifel investitionssteigernd wirken und ein Ansteigen der Investitionsausgaben zu dem gleichen expansiven Effekt auf die Gesamtnachfrage führen wie ein Ansteigen der Verbrauchsausgaben. Bestenfalls könnte man schließen, daß eine Steuersenkung, die auf den Verbrauch abgestellt ist, die Gesamtnachfrage etwas stärker erhöht als eine Senkung, die auf das Sparen ausgeht; aber man darf nicht verkennen, daß auch letztere Maßnahme (abgesehen von der schon erwähnten Möglichkeit der Verkleinerung der Staatsausgaben) per Saldo expansiv wirkt.

Aber dies ist hier nicht wichtig, denn die gegenwärtige Diskussion läuft in ganz anderen Bahnen. Einerseits wird behauptet, daß die zusätzlichen Ersparnisse ja gar nicht zu zusätzlichen Investitionen führen, sondern nur an die Stelle der bisher zur Finanzierung der Investitionen beanspruchten Bankkredite treten würden. Andererseits wird aber auch betont, daß zusätzliche Investitionsausgaben zur Rationalisierung der Wirtschaft und durch diese zur Bereitstellung eines erhöhten Güterangebotes notwendig seien.

Was die erste Variante anbetrifft, so stützt sich die Argumentation auf die Voraussetzung, daß das Volumen der Investition eine gegebene Größe ist, die durch die Steuersenkung nicht beeinflußt würde. Dies ist aber ebensowenig der Fall, wie angenommen werden kann, daß die Höhe der Investitionsausgaben von der Geldpolitik unabhängig sei. Steuersenkung ohne kompensierende Einschränkung in der Geldpolitik führt zur Ausdehnung der Investition. Sollte es — wenn auch mehr aus strukturellen denn aus konjunkturpolitischen Gründen — wünschenswert erscheinen, einen größeren Teil der Investition aus Ersparnissen und einen kleineren Teil aus Geldschöpfung zu finanzieren, so läßt sich dieses Ziel durch eine Kombination von Maßnahmen, d. h. Steuersenkung (besonders zugunsten der Spartätigkeit) einerseits und stärkere Einschränkung der Möglichkeit der Kreditnahme andererseits, erreichen. Steuersenkung ohne weitere Krediteinschränkung würde strukturell in dieselbe Richtung wirken, jedoch nur im Zusammenhang mit einer Zunahme der Investitionsausgaben und also einem größeren Preisanstieg.

Was die zweite Variante anbetrifft, so ist es wohl schon richtig, daß eine Vergrößerung der realen Betriebsinvestitionen (soweit diese bei der Vollbeschäftigung überhaupt möglich ist) zu einer größeren Produktionskapazität und zu einem schnelleren Anwachsen des Volkseinkommens führt. Dies macht es dann möglich, größere Lohnforderungen ohne inflationistische Gefahr zu befriedigen. Grundsätzlich ist dies richtig, aber man muß beachten, daß es sich hier um eine sehr langsam e Entwicklung handelt, und auch, daß die Rolle der Investition in der wiederaufgebauten Wirtschaft eine andere ist als in der Zeit der ersten Nachkriegsjahre. Die durchschnittlich ungeheuer hohe Wachstumsrate des deutschen Volkseinkommens während der letzten Jahre kann natürlich nicht auf die Dauer aufrechterhalten werden; sie war größtenteils das Resultat des Wiederaufbaus der zerstörten Wirtschaft, ein Prozeß, der jetzt weitgehend zu einem Abschluß gekommen ist. Das weitere Wachstum des Volkseinkommens wird also, wie auch in anderen Ländern, von den normalen Faktoren, insbesondere vom Bevölkerungszuwachs und der zunehmenden Produktivität, abhängen. In dieser Situation kann nicht mehr erwartet werden, daß eine Erhöhung der Investitionsausgaben einen deflatorischen Einfluß auf das Preisniveau ausübt. Werden beispielsweise die Investitionsausgaben um 1 Milliarde erhöht, steigt zunächst die Nachfrage um 1 Milliarde; bei Vollbeschäftigung der Produktionsfaktoren wird aber dieser Zuwachs der Nachfrage nur zu einem kleinen Teil durch eine Zunahme der Gesamtproduktion kompensiert werden, so daß in der Gesamtwirkung auch die Nachfrage expansiv und inflatorisch ist, nicht hingegen deflatorisch, wie häufig behauptet wird.

Nun kann natürlich argumentiert werden, daß sich diese Ausdehnung der Gesamtnachfrage vermeiden läßt, indem der größeren Investition ein geringerer Verbrauch gegenübergestellt wird. Das bedeutet aber eine niedrigere Besteuerung der Spartätigkeit und eine höhere Besteuerung des Verbrauchs und nicht, wie in der Debatte vorgeschlagen wird, eine allgemeine Steuersenkung. Nimmt man an, eine solche Umstellung wäre auch grundsätzlich möglich, so bleibt es immerhin fraglich, ob es überhaupt wünschenswert wäre, die Kapitalbildung in der gegenwärtigen Situation zu erhöhen. Der Anteil der Kapitalbildung am Volkseinkommen ist in Deutschland außerordentlich hoch; dies geht sowohl aus einem Vergleich mit früheren Jahren als auch aus einem Vergleich mit anderen Ländern hervor, und es ist gar nicht offensichtlich, daß diese Entwicklung auf längere Sicht hin noch verstärkt werden sollte. Außerdem ist auch zu beachten, daß Rationalisierung nicht unbedingt mit Erhöhung der Nettoinvestition gleichzusetzen ist, denn Verbesserungen des Produktionsapparates können ja weitgehend durch die Reinvestition der Abschreibungsbeträge finanziert werden.

Wenn alle diese Überlegungen angestellt werden, kann man kaum die Schlußfolgerung umgehen, die auch in dem letzten Monatsbericht der BdL ausgedrückt ist, daß nämlich eine Einschränkung sowohl der Investition als auch der Verbrauchsausgaben konjunkturpolitisch notwendig ist. Dasselbe gilt natürlich auch für die öffentlichen Ausgaben, obwohl man nicht einfach annehmen darf, daß die öffentlichen Ausgaben (d. h. praktisch gesehen meist „Sozialausgaben") immer als erste reduziert werden müssen.

Steuer als Anreiz zur Investition

Nun wird nicht nur argumentiert, daß eine Steuerherabsetzung notwendig sei, da man mehr Investition bzw. eine größere Eigenfinanzierung der Investition brauche, sondern es wird auch so argumentiert — und manchmal im gleichen Atemzug —, daß man die hohen Steuern senken solle, da die Besteuerung zu übermäßigen und unwirtschaftlichen Investitionen und Ausgaben anrege. Diese These, nach der eine Steuersenkung zur Einschränkung der Ausgaben führe, schließt zwei Argumente ein: Das erste bezieht sich auf die Auswirkungen der Möglichkeit beschleunigter Abschreibung, die 1953 eingeführt wurde, und, ist weitgehend richtig; das zweite bezieht sich auf die Auswirkung hoher Steuersätze überhaupt, und ist meiner Ansicht nach überwiegend falsch.

Beschleunigte Abschreibung stelIt eine Vergünstigung für den Steuerzahler dar, die sich positiv auf die Investitionstätigkeit auswirkt, und zwar aus verschiedenen Gründen. Durch schnellere, d. h. erhöhte, Abschreibungen verzögert sich die Steuerlast, so daß mehr Eigenkapital zunächst einmal für Investitionen zur Verfügung steht. Da diese Art der Finanzierung vielfach der Kreditaufnahme oder Effektenausgabe vorgezogen wird, führt eine beschleunigte Abschreibung zunächst zu größerer Investitionstätigkeit, überdies stellt die Stundung der Steuerschuld bis auf einen späteren Zeitpunkt, die durch Verkürzung der Abschreibungsperiode bewirkt wird, eine Verringerung des gegenwärtigen Wertes der Steuerschuld dar und kommt also einer gewissen Verringerung des Steuersatzes bei gegebener Abschreibungsperiode gleich. Schließlich ist der Investitionsanreiz der beschleunigten Abschreibung besonders bedeutsam, wenn der Steuerzahler erwartet, daß der Steuersatz in der Zukunft gesenkt werden wird. Die Kosten der „neuen" Investitionen werden dann gegen Gewinne von „alten" Investitionen, die noch den hohen Steuersätzen unterliegen, aufgerechnet, während die Gewinne der „neuen" Investitionen nur noch den späteren und niedrigeren Steuersätzen unterliegen. So würde es sich lohnen, Investitionen, die für die Zukunft geplant sind, in die Gegenwart vorzuverlegen, und das gegenwärtige Investitionsvolumen stiege. Ohne Zweifel waren diese Kräfte während der letzten Jahre wirksam, obwohl das Ausmaß, in dem sie für das hohe Investitionsniveau verantwortlich gemacht werden, wohl doch sehr überschätzt wird. Wie dem auch sei, es trifft sicherlich zu, daß eine Verlängerung der Abschreibungsperiode (oder eine Verringerung der Abschreibungsrate innerhalb einer gegebenen Zeitdauer) bei gleichbleibenden Steuersätzen restriktiv wirken würde, jedoch gliche eine solche Maßnahme ihrem Wesen nach mehr einer Steuererhöhung.

Abgesehen von der Frage der Abschreibungsperiode wird weiterhin argumentiert, daß höhere Steuersätze ganz allgemein zu größeren Investitionen oder sonstigen Geschäftsausgaben führen. Diese Argumentation lautet ungefähr folgendermaßen: Der Erwerb gewisser Geschäftsanlagen kostet brutto 100 000 DM. Diese zusätzlichen Kosten können gegen Gewinne von 100 000 DM abgeschrieben werden (je nach der Art der zusätzlichen Auslagen erfolgt die Abschreibung gleich oder später), und dies führt bei einem Steuersatz von, sagen wir, 60 % zu einer Senkung der sofortigen Steuerschuld um 60 000 DM. Die Nettokosten der Anlage haben sich also durch das Vorhandensein der Steuer auf 40 000 DM vermindert. Dieses Beispiel zeigt, daß der Anreiz, solche Ausgaben zu machen, größer geworden ist. Kurz gesagt, je höher der Steuersatz ist, desto niedriger sind die effektiven Kosten, und desto größer wird der Anreiz zu zusätzlichen Ausgaben sein. Dieses Resultat widerspricht irgendwie dem gesunden Menschenverstand, denn da wäre es ja lediglich nötig, hohe Profitsteuern aufzuerlegen, um eine Depression zu überwinden.

Das fehlende Glied in der Argumentation ist die Tatsache, daß die Steuer nicht nur zum Steuersparen durch Mehrausgaben anreizt, sondern daß künftige Einnahmen aus diesen Mehrausgaben ja auch wieder der Steuer unterliegen werden und also weniger reizvoll sind. Wenn dies in Betracht gezogen wird, sieht sich unser Rechenexempel so an: Nehm en wir an, daß die Bruttorendite 10 % ist, und vergleichen wir die Nettorendite mit und ohne Steuer. Der Unternehmer hat einen Bruttogewinn aus früherer Investition von 100 000 DM. Solange es keine Steuer gibt, kann er diesen Gewinn wieder anlegen, kann 10 000 DM verdienen und hat dann später 110 000 DM zur Verfügung. Oder er kann schon jetzt 100 000 DM zum Verbrauch herausnehmen. Die Belohnung für die Investition ist 10 % des Betrages, der schon jetzt herausgenommen w erden könnte. Nun nehmen wir an, daß eine Steuer von 60 % auferlegt wird, und fangen wieder mit der Annahme an, daß der Unternehmer ein Bruttoeinkommen von 100 000 DM aus früherer Investition hat. Er hat jetzt die Möglichkeit, aus diesem Bruttoprofit von 100 000 DM eine Steuer von 60 000 DM zu zahlen und dann einen Nettoprofit von 40 000 DM zu entnehmen; oder er kann auf diese 40 000 DM verzichten und eine zusätzliche Investition von 100 000 DM machen. Um das Argument zu vereinfachen, wollen wir auch annehmen, daß diese zusätzlichen Ausgaben solcher Art sind, daß sie sofort abgeschrieben werden können. In diesem Fall ist die Steuerschuld verschoben, und der ganze Bruttoprofit aus der vergangenen Investition steht zur neuen Investition zur Verfügung. Das Bruttoeinkommen von dieser neuen Investition ist 10 000 DM, so daß ihm also später ein Bruttobetrag von 110 000 DM zur Entnahme zur Verfügung stehen wird. Nach Abzug der Steuer von 66 000 DM verbleiben davon 44 000 DM als Nettoeinkommen. Es besteht also die Wahl zwischen einem sofortigen Nettoeinkommen von 40 000 DM und einem späteren Nettoeinkommen von 44 000 DM. Wie man sieht, beträgt die Belohnung für die Investitionen wiederum 10 % (oder 4 000 DM von 40 000 DM), ganz wie es auch vor der Auferlegung der Steuer war. Die Rentabilität und damit der Anreiz zur Investition ist also unverändert geblieben.

Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht der Praktiker ist es also unrichtig, daß hohe Steuersätze die Rentabilität der Investition erhöhen und so bei wirtschaftlichem Verhalten zu zusätzlichen Ausgaben Anlaß geben. Wo es sich um eine Investition aus vorhandenem Kapital und nicht um Reinvestition eines der Besteuerung unterliegenden Einkommens handelt, kann ebenso gezeigt werden, daß die Steuer die Rentabilität der Investition reduziert und also zur Investitionseinschränkung Anlaß gibt.

Gewisse Ausnahmen von diesen Schlußfolgerungen sind jedoch zu beachten. Eine ist die schon erwähnte Möglichkeit, daß eine Herabsetzung der zukünftigen Steuersätze erwartet wird, besonders dann, wenn dies mit einer kurzen Abschreibungsperiode verbunden ist. Abhilfe schafft hier eine Verlängerung der Abschreibungsperiode und nicht die Ankündigung einer Steuerherabsetzung. Eine andere — wenn auch unwahrscheinliche — Möglichkeit ist die, daß der Unternehmer überhaupt nicht beabsichtigt, die investierte Summe jemals herauszuziehen, so daß die dauernde Reinvestition der Profite einem dauernden Weglaufen von der Steuer gleichkommt. Schließlich muß beachtet werden, daß die Steuern zu größeren Spesen und anderen Ausgaben anreizen können, die eigentlich mehr Verbrauch der Geschäftsleute als wirkliche Geschäftsausgaben sind. Hier ist es natürlich ganz richtig, daß ein hoher Steuersatz in der Einkommensteuer es vorteilhaft macht, Gehaltszuschüsse oder Gratifikationen nicht in bar auszubezahlen, weil sie der Einkommensteuer unterworfen wären, sondern sie in der Form von Sachvergütungen (z. B. auch für Privatzwecke benutzbare Geschäftswagen) zu leisten, die der Einkommensbesteuerung entgehen. Dies gehört jedoch zu dem Spezialproblem der Bestimmung des Einkommensbegriffes, dessen Schwierigkeit mit der Höhe des Steuersatzes anwächst.

Schlußfolgerungen

Die obigen Überlegungen deuten darauf hin, daß eine Steuersenkung in der jetzigen Konjunkturlage unangebracht wäre. Die sich ergebende Erhöhung der Privatausgaben würde voraussichtlich die eintretende Senkung der öffentlichen Ausgaben übertreffen. Steuersenkung, die zur vergrößerten Spartätigkeit führt, würde sich weitgehend in vergrößerter Investitionsnachfrage auswirken, und dies hätte unter den gegebenen Verhältnissen kaum geringere und vielleicht sogar größere inflatorische Auswirkungen als eine Ausweitung der Verbrauchsnachfrage. Die Aussage, daß eine Steuersenkung zur Einschränkung von Investitionen und Geschäftsausgaben führen würde, scheint im allgemeinen unrichtig. Eine Verlängerung der Abschreibungsperiode würde zur Einschränkung der Investition führen und ist wünschenswert, aber sie bedeutet eine Steuererhöhung und nicht eine Steuersenkung. Schließlich muß noch die Frage aufgeworfen werden, ob es denn wünschenswert ist, die Steuern gerade in dem Zeitpunkt herabzusetzen, wo man sich auf größere Verteidigungsausgaben vorbereiten muß. Der Hinweis, daß ja die im „Juliusturm" aufgestauten Gelder zu diesem Zweck nutzbar gemacht werden könnten, ist wirtschaftlich gesehen unrichtig. Der Aufbau des Turmes übte während der letzten Jahre einen nützlichen deflatorischen Einfluß aus und erleichterte so weitgehend die Aufgabe der Zentralbank, die Nettogeldschöpfung in vernünftigen Grenzen zu halten. Die mangelnde Erkenntnis dieser Tatsache in der gegenwärtigen Diskussion, und die fast einstimmige Kritik in der Wirtschaftspresse, daß der Aufbau des Juliusturm es ein Fehler war, ist wohl nur damit zu erklären, daß seine Architekten selbst weniger den konjunkturpolitischen Wert der Geldentziehung als kaum überzeugende buchhalterische Begründungen ins Feld führten. 

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