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Zum Gedächtnis Max Webers

5. Jahrgang, 1920, Heft 28

Ein Nachruf zu Ehren des berühmten deutschen Nationalökonomen

von Dr. Kurt Singer

Anders als sonst von dem Hingang eines großen Forschers und großen Kampfers ist von dem Tode Max Webers zu reden. Nicht eine Wissenschaft und nicht eine Sache nur tragen schwer am Verlust des einzigen Mannes: das Gesicht des Landes selbst ist durch ihn verändert worden. Die Nachrufe sind im Recht, wenn sie Kühnheit und Ernst, Weite und Gewalt seiner Arbeiten loben, die sich mit leidenschaftlicher Spannung auf den unzugänglichsten Grenzgebieten von Wirtschaft und Recht, Religion und Musik, Psychophysik und Methodologie bewegen. Auch treffen sie das Rechte, wenn sie des unbändigen Eifers und der fleckenlosen Ritterlichkeit, die er in allen seinen heftigen Fehden zeigte, und der seltenen Mischung von Kraft und Scheu als seines Kostbarsten gedenken.  Doch irren sie wohl, wenn sie sich mit dem gewohnten: "Denn er war unser" eines kleinen Trostes zu versichern glauben. Denn wer dürfte sagen, dass ein solcher Mann sein gewesen sei? Er war nicht wie seine Lober und nicht wie seine Mitstreiter. Ein tiefes, unaufhebbares Anderssein war in ihm und um ihn und wehrte jeder Gemeinschaft. So vollendet sein Tod ein in jedem Betracht einziges und einsames Dasein, das nicht im Werk, dem rundenden, und nicht in der Tat, der befreienden, sich erfüllen durfte, sondern allein in dem in aller Offenheit gut verborgenen Kampf zwischen Mensch und Dämon.

Kurt Singer war von 1920 bis 1927 Hauptschriftleiter des Wirtschaftsdienst. Ein Porträt über den bekannten Ökonom und Japanexperten finden Sie hier.

Wie soll auch der beispiellose Charakter seiner Arbeit, das jähe Herausschleudern von immer neuen Forschungen, die schon im Augenblick ihrer Entstehung in mehr als einem Sinne Fragment zu bleiben bestimmt schienen, wie soll auch das eben so jähe Anheben und Abbrechen seiner politischen Kampfe in seinem ganzen Ernst verstanden werden, wenn nicht aus einem solchen Schicksal? Alles was er tat war von tieferen Reichen bestimmt als die sonst die Wissenschaft und die Politik dieses Zeitalters nähren. Nicht die Freude am Forschen und nicht die Pflicht zu bauen trieb es hervor, sondern ein dunkleres, dichteres Müssen. Auch dem Stumpfesten musste vor diesem Werk und noch mehr in der Gegenwart seines Urhebers selbst eine Ahnung davon zufliegen, dass hier ein Mensch im Bund und im Kampf mit Mächten stand, die an den Grenzen der Seele walten, unbeherrschbar, ruhelos, unberechenbar und ebenso zum Schaffen wie zum Zerstören bestimmt.

Alles was er tat und sann war Kampf, alles was er begriff und aussprach, wurde Waffe. Aber er wählte seinen Kampf nicht, sondern es war, als wählte der Dämon des Kampfes ihn, durchfuhr ihn, handelte aus ihm und machte ihn selbst zu seiner Waffe. Wenn andere sich am Gegensatz entzünden, am Feinde fruchtbar werden und erst im Streit ihrer Kräfte froh werden, so war für ihn Gegnerschaft schlechthin die große Form seines Daseins, nicht Mittel, sondern Leben, nicht Mögen, sondern Zwang. Wo es nicht galt Stellung zu nehmen, sich einzusetzen, wo nicht die fessellose Macht ihn durchzuckte, die sich entzündete und einschlug, niemand wusste wo und mit wie gewitterhafter Wucht, da war er nicht er selbst. Auch seine gelehrtesten Arbeiten müssen so gelesen werden. Sie enthalten, wenn auch in dem Rahmen eines Lexikonaufsatzes, nicht eine Sammlung von Erkenntnissen sondern von Positionen, ihr Bewegendes liegt nicht in einem Drang zu schauen, zu ordnen und zu bilden, sondern Stellung zu nehmen so wie auch seine politischen Fehden sich zutiefst aus dem Willen sich einzusetzen nährten.

War er schon hierdurch von seinen Zeitgenossen - und wie tief! - geschieden, so war er auch seinen Mitstreitern ferner und unbegreiflicher als sie jemals ahnen mochten. Denn das wofür er anscheinend ihnen zur Seite stritt, war für ihn und für seinen Anhang nicht das Gleiche. Was für jene als Erfüllung gelten mochte, kann für ihn nichts anderes als ein Mittel asketischer Selbstfesselung gewesen sein. Wer wollte auch annehmen, dass Rationalisierung der Wissenschaft und der Lebensführung, Parlamentarismus und Demokratie, Spezialistentum und Trennung der erkennenden und handelnden Menschen seinem eigenen Wesen gemäß und würdige Ziele dieser dämonischen Natur gewesen seien? Wenn er sich für sie einsetzte, so mussten sie für ihn anderen Sinn haben als für die Weggefährten, die der Zufall an seine Seite stellte. Nur scheinbar waren ihre und seine Gegner die gleichen, denn der tiefste Gegner war ihm niemand anders als er selbst, mit dem in unablässiger Fehde zu liegen Ethos und Dämon - nach den griechischen Philosophen dem Menschen zwei Worte für die gleiche Sache - ihn zwangen. Wenn er seine ganze Kraft in den Dienst dessen stellte, was er selbst den "Intellektualisierungsprozeß'' nannte und was in seinem Endziel die Aufhebung alles in früheren Jahrhunderten gültigen Menschtums bedeutete, so geschah es nicht, wie es sonst bei den Verfechtern dieser Ziele zu liegen pflegt, aus Armut oder Starrheit, Enge und Undichtigkeit, sondern aus dem gespannten Willen, die finstere Fülle seiner Kräfte damit zu fesseln, und aus dem unaufhebbaren Wissen, andere Kräfte der Formgebung und der Begrenzung nicht leibhaft zu gewahren. Er war viel zu tief um nicht die Verkümmerung zu sehen, die in dem ungehemmten Fortschreiten der Rationalisierung für Welt und Mensch beschlossen liegt. Aber es war sein Glaube, dass dies das Joch der Notwendigkeit sei, und es war sein Ethos, dass der Mann ein solches Joch nicht abwerfen dürfe. So setzte er sich für diese Ziele ein, nicht weil sie ihm erwünscht erschienen, sondern weil er es sich nicht gestatten durfte, sich das Notwendige zu ersparen, dem Schicksal ausweichen und vor dem drohenden Blick der Gorgo in ein Vergangenes oder Utopisches zu flüchten, wie es das schöne Gefühl und die schweifende Sehnsucht raten mochte. Er hatte gewiss genug Geist und Leben gehabt, um mehr als eines der bestechenden geschichtsphilosophischen Systeme zu erfinden, die die Bewunderung der Zeitgenossen ebenso rasch finden wie sie vergessen werden: Aber er versagte es sich etwas anderes zu tun als das, was ihm sein Geschick als die tiefste Forderung des Tages auferlegte.

Denn dieser Tag war nach seinem eigenen Wort Alltag, feierlos und öde, ewiges Einerlei einer entgotteten und entgötterten Welt. Kein lebensgebender Zauber wirkt mehr zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Welt; nicht Blüte steht bevor, sondern eisige Nacht, Prüfung und Not. Kein anderer Stern mehr als die Würde des einsamen Kämpfers und des mannhaften Verzichts, Bewährung täglicher Pflicht und Treue gegen den eigenen Dämon. Ähnelt er nicht, so weit ein Erbe des neunzehnten Jahrhunderts den heroischen Begründern des asketischen Protestantismus ähneln kann, hierin den leidenschaftlichsten der kalvinistischen Glaubenskämpfer, deren Geist in den Fundamenten der kapitalistischen Welt nachgewiesen zu haben, vielleicht der größte seiner Funde war? Auch sie Einsame und Verschlossene, Maßlose in unablässiger Zucht gebändigte, mehr durch Gegnerschaft als durch Erfüllung bestimmte nordische Menschen, auch sie in ihren höchsten Gestalten aus dem Geschlecht der großen Einäugigen, um die der Wettermantel geschlungem ist, ebenso groß im Zerstören wie im Fördern, von dunklen Mächten kämpfend durchgetrieben durch eine Welt, in der sie nicht bleiben und aus der sie doch nicht entfliehen dürfen.

Ein solcher Mann gehört nicht eigentlich seiner Zeit an und muss doch unabwendbar in ihre Grenzen gebannt sein. Er gehört ihr nicht an, denn er ist von denen, die noch opfern können und noch Würde wahren. Aber er überschreitet ihre Grenzen nicht, denn seine Würde und sein Opfer selber nähren sich aus dem Schicksal, keine andere Welt zu sehen als die zeitgenössische, keine andere Kraft für wirklich zu halten als die Tendenzen des Alltags, des Heute als eines Inbegriffs von Bedingungen, die jedem forschenden Verstande offen liegen. Für ihn war die Zeit der Propheten und Weisen, der Philosophen und Seher für immer Vergangenheit, und wenn er auch in einem Bekenntnis seines letzten Jahres den jesaianischen Ruf aus Seir in Edom aufnahm: "Es kommt der Morgen, aber noch ist es Nacht", so glaubte er doch, dass der Weg in diesen Morgen nur gefunden werden könne, wenn die Forderungen des Zeitgeistes selber erfüllt würden. Jenseits des Zeitgeistes sah er nicht viel mehr als Romantik und Utopie, Schwärmerei und Mangel an Mut. So ist die Grenze der Epoche zugleich seine eigene Grenze. Es hätte auch schwerlich von ihm erwartet werden können, dass er den Orkan der Zeitkräfte bändige, von dem er doch selber ein Teil war. Die Gegenwart stritt in ihm gegen sich selbst und erhöhte sich in ihm. Die Gegner des Zeitgeistes aber müssen dankbar sein, dass die Machte sie mit einem so großen und adligen Widersacher geehrt haben.

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