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Regierung oder Verwaltung?

Der erste Beitrag der Nachkriegszeit - der Wirtschaftsdienst erscheint wieder ab Juni 1949

Autor unbekannt

29. Jahrgang, 1949, Heft 1

Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Bonner Verfassung

Wie der Herterbericht sagt, hat es Demokratie noch in keinem Land gegeben, dessen wirtschaftliche Entfaltung verhindert wurde. Da von freier Entfaltung der westdeutschen Wirtschaft vorerst nicht die Rede ist, wird gefragt, ob nicht die westdeutsche Staatsgründung verfrüht sei, ob ihr nicht die Gewährung der wirtschaftlichen Souveränität vorhergehen müsse?

Das Programm der USA für die besetzten deutschen Gebiete, wie es sich 1942/43 herausbildete, sah vor: anfänglich nur lokale Selbstverwaltung, später in dem Maße, wie sich die Elemente einer deutschen Demokratie bilden, Fortschritt zu regionaler und nationaler Selbstregierung. Obwohl diese Entwicklung durch die Morgenthaupolitik in Frage gestellt war, setzte sie sich durch. Bonner Verfassung und Besatzungsstatut sind in dieser Entwicklung eine Stufe, nicht der Abschluß. Nach dem Stand der Auseinandersetzung zwischen den Westmächten ist die Übertragung der wirtschaftlichen Souveränität in deutsche Hände noch nicht zu erwarten, die Besatzungsmächte behalten sie sich vielmehr in dehnbaren, weitgefaßten Bestimmungen vor. Andererseits wird eine Bühne geschaffen, auf der Westdeutschland erst zum Bewußtsein seiner Wirtschaftsnotwendigkeiten gelangen und den Kampf um sie aufnehmen kann. Damit wird auch der Kampf um die Europaplanung erst auf eine nicht mehr unwirkliche und widerspruchsvolle Grundlage gestellt.

Denn Westdeutschland ist das wichtigste europäische Industriegebiet, bei dessen fortgesetzter Verkümmerung der europäische Wirtschaftsaufbau zum Scheitern verurteilt ist. Die niederländischen Häfen und Wasserstraßen, die niederländische und italienische Obst- und Gemüsezucht, der griechisch-türkische Tabak- und Rosinenbau sind auf ungehemmte Entfaltung der deutschen Kaufkraft angewiesen, und wie der Harriman-Bericht nachgewiesen hat, ist es eine Utopie, die Belieferung dieser Länder mit Stahl und Stahlerzeugnissen in der Hauptsache aus anderen Quellen zu erwarten als der westdeutschen Schwer- und Maschinenindustrie. Um aber innerhalb der OEEC, der Ruhrbehörde und der anderen europäischen Wirtschaftsgremien diesen europäischen Standpunkt durchzusetzen, muß Westdeutschland in ihnen durch deutsche Vertreter, nicht durch Abgeordnete der Militärregierungen vertreten sein. Dies wird durch die Bonner Verfassung und das Besatzungsstatut herbeigeführt.

Die spätere Wiedervereinigung mit der sowjetischen Zone kann durch Herstellung klarer Verhältnisse in Westdeutschland nur erleichtert werden. Nicht weniger wichtig ist jedoch enge wirtschaftliche Vereinigung mit den Marshallplanländern, in dem Bonner Verfassungswerk untermauert durch den Vorbehalt, daß Souveränitätsrechte auf übernationale Stellen — etwa eine europäische Wirtschaftsunion — übertragen werden können. (tz)

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