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Ölsperre – das böse Beispiel

53 Jahrgang, 1973, Heft 11

Ein Kommentar zur Ölkrise

von Dr. Dietrich Kebschull

Der Bürger ist aufgeschreckt. Nicht nur die Industrie und die privaten Heizungen sind bedroht - auch sein liebstes Spielzeug scheint gefährdet. In den Niederlanden gab es zum erstenmal ein Fahrverbot für Kraftfahrzeuge am Sonntag. Belgien und Dänemark stellen sich auf ähnliche Maßnahmen ein. Die Europäischen Gemeinschaften traten eiligst zusammen, um die Situation zu beraten. Und auch die Bundesrepublik bereitet sich auf den Ernstfall vor. Durch ein Energiesicherungsgesetz soll die Krise im Rahmen gehalten werden. Zunächst ist nur an ein allgemeines Fahrverbot an Sonn- und Feiertagen sowie an eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen und Straßen gedacht. Außerdem soll der Verkauf von Benzin in Kanistern verboten werden, und die allerletzte Maßnahme wird die Ausgabe von Benzingutscheinen sein. Auch die Zuteilung oder Rationierung von Heizöl ist dann zu erwarten.

Dietrich Kebschull (geb. 1940) war Chefredakteur des Wirtschaftsdienst von Dezember 1967 bis 1970.

Noch weiß man nicht genau, wie derartige Notmaßnahmen praktiziert werden sollen. Denn die arabischen Staaten haben zu plötzlich Ernst gemacht. Durch die Drosselung der Ölversorgung wollen sie die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaften, die Vereinigten Staaten und Japan zu „politischem Wohlverhalten“ zwingen und die militärische Niederlage doch noch in einen politischen Sieg ummünzen.

Solche wirtschaftlichen Repressalien zur Verwirklichung politischer Zielsetzungen sind keineswegs neu. Jeder kennt die US-amerikanischen Embargomaßnahmen gegenüber den Ostblockstaaten oder Kuba, und der Sturz Allendes wäre ohne wirtschaftlichen Druck von außen kaum so schnell erfolgt, und auch in der Entwicklungshilfe ist die Kopplung von Krediten und politischen Auflagen keineswegs eine Seltenheit gewesen.

Das Neue an der gegenwärtigen Situation besteht darin, daß ein Embargo gerade die Staaten trifft, die es bisher als ihr Vorrecht ansahen, Politik und Wirtschaft zu verquicken. Trotz vieler deutlicher Anzeichen, trotz offener und verdeckter Drohungen der arabischen Ölförderländer kam ihre solidarische Aktion doch überraschend. Denn bisher waren die westlichen Verbraucherländer in ihrer Mehrzahl davon ausgegangen, daß die Araber ihr Öl aufgrund ökonomischer Überlegungen verkaufen müßten, wenn sie es nicht selbst trinken wollten. Im Zusammenhang mit dem Israelkonflikt wurde nun allen Anhängern dieser These deutlich demonstriert, daß sie es eher trinken werden, als es denen zu verkaufen, die ihre politischen Gegner unterstützen.

Bei der Kürzung der Lieferungen um 25 %  im November und um weitere 5 % im Dezember besteht kein Zweifel daran, daß die Araber eine derartige Politik über Jahre durchhalten können. Aufgrund ihrer hohen offiziellen und inoffiziellen Devisenreserven  könnten sie sogar einen totalen Lieferstopp über mindestens drei Jahre verhängen - ohne dabei auch nur im geringsten Abstriche von ihren eigenen Wirtschaftsprogrammen machen zu müssen. Derartige Überlegungen sind für die Lieferländer jedoch zur Zeit völlig unnötig. Denn durch die mit der Angebotsverminderung gekoppelte Anhebung der Abgabepreise dürften sie tatsächlich kaum fühlbare Einnahmeausfälle haben — zumal auch die anderen ölproduzierenden Staaten die Preiserhöhungen mitmachen.

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