Ein Service der

Deutschland im weltwirtschaftlichen Kräftespiel

Vortrag, gehalten am 6. Januar 1949 in der Feierstunde aus Anlaß des 40jährigen Jubiläums des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs

Senator Prof. Dr. Karl Schiller, Hamburg

29. Jahrgang, 1949, Heft 1

Um die Lage Deutschlands im weltwirtschaftlichen Kräftespiel zu skizzieren, müssen wir  zurückblicken auf das Bild der alten Weltwirtschaft. Dabei stellen wir fest, daß diese damalige Weltwirtschaft lebte und wuchs in der Befolgung ganz bestimmter Spielregeln; Spielregeln, die ihren Ausdruck etwa in Formulierungen wie Meistbegünstigung und Goldwährung fanden. Unter diesen Normen entwickelte sich das, was wir heute nachträglich als den multilateralen Austausch bezeichnen. Das heißt, die einzelnen Teilhaber der Weltwirtschaft standen nicht in einem gegenseitigen Austausch in der Weise, daß das eine Land mit dem anderen Land paarweise zu einem Ausgleich in seinen Austauschbilanzen kam, sondern jeder kaufte dort, wo es am besten für ihn war, jeder verkaufte auch an dritte Stellen, und der Ausgleich in diesem ineinander verzahnten System, das ein sehr kompliziertes Gefüge war, erfolgte in einem sog. Dreiecks- oder Vielecksverkehr, eben in einem multilateralen Sinne.

Karl Schiller (1911–1994), Wirtschaftswissenschaftler und SPD-Politiker. Er hatte den Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie an der Universität Hamburg inne, wo er von 1956 bis 1958 auch Rektor war. 1948 bis 1953 leitete er die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde in Hamburg, 1966 bis 1972 amtierte er als Bundeswirtschafts- und -finanzminister. In dieser Eigenschaft verfasste er den Text für den Wirtschaftsdienst. Schiller wirkte federführend an der Entstehung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes mit und war Initiator der konzertierten Aktion, mit der im Unterschied zum Wirtschaftsliberalismus der 1960er Jahre ein Abstimmungsprozess zwischen unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Akteuren erreicht werden sollte.

Bild:  BArch, B 145 Bild-F029983-0017 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0

Nach dem ersten Weltkrieg versuchte man, dieses alte Spiel — Meistbegünstigung, Goldwährung, multilateraler Austausch — wieder von vorne anzufangen. Die Situation jedoch war diesem Versuch einer echten Restauration nicht gerade sehr günstig. Der Versuch ist in den Stürmen der großen Weltwirtschaftskrise und vollends in den Kriegsvorbereitungen und der Kriegswirtschaft selbst gescheitert. Das System des multilateralen Ausgleichs ist abgelöst worden durch ein System des bilateralen, des paarweisen gegenseitigen Ausgleichs, der Devisenkontrollen und der Handelsregulierungen aller Art.

Umschichtungen nach dem Zweiten Weltkrieg

Wie sehen die Dinge nun nach dem zweiten Weltkrieg aus? Rein äußerlich ist die Weltwirtschaft in einige große Blöcke auseinandergefallen. Auf der einen Seite haben wir die östliche Welt, wo sich ein riesiger Großwirtschaftsraum begründet, der mit relativ kleinen Über- und Unterschüssen in die übrige Welt hineinragt und überhaupt nur wenig, gemessen an der Größe dieses Wirtschaftsraums, am Welthandel beteiligt ist. In diesem östlichen Block wird versucht, eine Art von Selbstgenügsamkeit und innerer Geschlossenheit zu entwickeln. Und auf der anderen Seite haben wir die Vereinigten Staaten von Amerika, die unzweifelhaft durch den zweiten Weltkrieg und seine Folgen an die Spitze der Welthandelsländer der übrigen Hemisphäre getreten sind. Sie haben heute etwa ein Viertel des Handelsumsatzes der Welt inne gegenüber weniger als 15 % vor dem zweiten Weltkriege. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind an die Stelle von Großbritannien gerückt. Diese Verschiebung im weltwirtschaftlichen Gefüge ist nicht nur eine statistische Veränderung, sie ist vielmehr Ausdruck einer sehr tiefgehenden inneren Strukturwandlung. Die USA sind ein Land, das viel stärker als das alte Welthandelszentrum Großbritannien auf den eigenen Binnenmarkt eingestellt ist, das viel stärker von der eigenen Binnenkonjunktur und viel weniger von der Außenhandels- und Weltwirtschaftskonjunktur abhängt, kurzum, eine ganz andere Position zum Welthandel als Ganzem innehat als die alte Welthandelsmetropole England.

Die entscheidende Wendung besteht aber in der Tatsache, daß Großbritannien in der alten Weltwirtschaft und auch noch nach dem ersten Weltkriege in ganz charakteristischer, ja in existenzwichtiger Weise für uns verknüpft war mit der Wirtschaft Kontinentaleuropas. Diese Verknüpfung war ganz anderer Art als die heutige mit den Vereinigten Staaten. Weiter hatten diese alten Beziehungen zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa eine Stütze in Deutschland, das das Pendant Großbritanniens auf dem Kontinent bildete. Hier bestand eine ganz bestimmte Arbeitsteilung zwischen Großbritannien und Deutschland, bei der heute der Partner Deutschland, wie wir alle wissen, noch praktisch ausgefallen ist.

Die Frage nach dem weltwirtschaftlichen Kräftespiel, nach der weltwirtschaftlichen Situation, spitzt sich also in diesem Falle zu in der Frage nach dem europäischen, oder noch deutlicher, kontinentaleuropäischen Außenhandel. Hier in Europa liegt eine wesentliche Zone der Störungen. Es ist nicht die alleinige — erinnert sei nur an die weltwirtschaftlichen Störungsgebiete etwa in Ostasien, an die Industrialisierungsvorgänge in den Rohstoffländern der ganzen Welt — aber für uns in Deutschland ist die Kernzone und das Kernproblem eben der europäische Außenhandel und sein Gleichgewicht.

Das multilaterale System ist in dreifacher Hinsicht heute in Europa zusammengebrochen: Erstens konnte Europa als Ganzes — insbesondere natürlich Großbritannien, aber auch einige andere westliche Länder — sich eine passive Zahlungsbilanz leisten, weil dieses Gebiet mit seinen Einnahmen aus den überseeischen Anlagen den passiven Saldo finanzieren konnte. Diese Finanzierungsquellen, die Auslandsinvestitionen, sind durch den zweiten Weltkrieg und seine Folgen vertrocknet.

Zweitens war Deutschland neben Großbritannien der andere Angelpunkt des innereuropäischen Dreiecksverkehrs. Um es ganz kurz zu sagen: Deutschland unterhielt eine für sich selbst aktive Zahlungsbilanz mit den übrigen kontinentaleuropäischen Ländern, und diese übrigen Länder hatten ihrerseits eine aktive Austauschbilanz, einen Ausfuhrüberschuß, nach Großbritannien. Durch diesen Ausfuhrüberschuß wurden die kontinentaleuropäischen Nachbarländer Deutschlands in die Lage versetzt, ihre Mehreinkäufe, ihren Einfuhrsaldo, gegenüber Deutschland zu bezahlen. Wie der große Bericht der Uno-Wirtschaftskommission von Gunnar Myrdal vom Frühjahr vorigen  Jahres sagt: Die Prosperität dieser Nachbarländer Deutschlands hing von zwei Dingen ab, erstens von ihrer Fähigkeit, deutsche Waren zu kaufen, und zweitens von ihrer Fähigkeit, dieses Defizit, diesen Einfuhrsaldo, durch Ausfuhrüberschüsse nach Großbritannien abzudecken.

Dieses komplizierte innereuropäische Netzwerk ist zerrissen, einmal weil England selber sich wegen des Verschwindens oder des Abbaues seiner überseeischen Anlagen nicht mehr imstande sieht, die passive Zahlungsbilanz gegenüber Europa aufrechtzuerhalten; zweitens aber, weil der deutsche Außenhandel, wie wir alle wissen, auf Bruchteile seines früheren Umfanges abgesunken ist. Wie derselbe Uno-Bericht sagt, ist dieses der Hauptgrund dafür, daß in den Nachbarländern Deutschlands noch zu niedrige industrielle Produktionsniveaus existieren, Engpässe bestehen und die Handelsbeziehungen verwirrt sind.

Mit diesem allen hängt schon der dritte Grund, das dritte Problem, der Zerstörung der alten europäischen und außereuropäischen Arbeitsteilung zusammen, der Rückgang des Austausches zwischen West- und Osteuropa bzw. West- und Südosteuropa. Der starke Abfall in dem ganzen Hin und Her von Waren zwischen dem industrialisierten Westen und dem mehr agrarischen Osten ist ein zusätzlich verschlimmerndes Moment in unserer europäischen und weltwirtschaftlichen Situation.

Durch diese drei Vorgänge — Schwund der Einnahmen, aus Überseeinvestitionen, Ausfall Deutschlands in seiner Schlüsselposition im europäischen Dreiecksverkehrs, Rückgang des Ost-West-Austausches — werden wir nun heute von uns aus vor folgende Situation gestellt: Die westeuropäischen Länder stehen, nachdem der Ausgleichmechanismus alter Art nicht mehr funktioniert, bei dem sehr großen Nachholbedarf unter einem ständigen Druck auf ihre Zahlungsbilanzen, einem Druck, der gemeinhin bezeichnet wird als Dollarknappheit. Auf der anderen Seite bleiben die ost- und südosteuropäischen Länder in ihrem industriellen und agrartechnischen Entwicklungsstand zurück, weil ihnen der belebende Austausch mit den Industrieprodukten des Westens fehlt oder weil dieser Austausch zu gering ist.

In dieser Situation können zwei Wege zur Lösung des Dilemmas beschritten werden, zwei Wege — das möchte ich hier als Ökonom und als Wissenschaftler ganz klar und ehrlich bekennen —, die von Haus aus sich gar nicht auszuschließen brauchen, die vielmehr auf dasselbe Ziel, nämlich eine Steigerung des europäischen Lebensstandards, hinweisen, die aber durch rein politische Faktoren zur Zeit auseinandergehen.

Der eine Weg ist der der Intensivierung des West-Ost-Austausches, und der zweite Weg ist der des systematischen Abbaus der Zahlungsbilanzdefizite der westeuropäischen Länder durch Kredite bzw. zusätzliche Hilfe der Vereinigten Staaten. Dieser zweite Weg Ist der des ERP.

Intensivierung des Ost-West-Handels

Zum ersten, zum Weg der Intensivierung des West- Ost-Austausches, stellte ein zweiter Bericht der Uno-Wirtschaftskommission vom Spätsommer letzten Jahres fest, daß, wenn im Jahre 1947 die Exporte der ost- und südosteuropäischen Länder die gleiche Höhe nach Westeuropa gehabt hätten wie vor dem Kriege, damit die westeuropäischen Länder etwa ein Viertel ihrer tatsächlichen Einfuhren aus der westlichen Hemisphäre eingespart hätten. Das ist kein sehr großer Anteil, aber immerhin ist er beachtlich. Um tatsächlich die Steigerungsmöglichkeiten, die hier ruhen. Im Ost-West-Austausch zu realisieren, empfiehlt der Uno-Bericht den Abschluß bilateraler Verträge der einzelnen westeuropäischen Länder, ungeachtet der politischen Spannungen mit dem Osten. Ich glaube, wir haben hier in Hamburg gar keinen Anlaß, solchen Empfehlungen gegenüber uns reserviert zu verhalten. Im Gegenteil, wir können solchen Empfehlungen, auf bilateral-ökonomischem Wege mit den ost- und südosteuropäischen Ländern zu Handelsabmachungen zu kommen, unsere rückhaltlose Zustimmung geben; denn, wie ich Immer wieder betone, 50 Prozent des früheren Umschlagvolumens unserer Hansestadt, unseres Hafens, unseres Verkehrsapparates, kamen aus dem bzw. gingen in das Gebiet ostwärts Lübecks.

Zum zweiten ergibt sich aus diesen Empfehlungen der Uno für uns: Wenn auch im Moment aus politischen Gründen der Interzonenhandel mit der deutschen Ostzone behindert ist, so müssen wir Wert darauf legen, daß der Transitverkehr ausländischer Güter in Richtung vom und zum Osten und in Richtung anderer Länder, so weit wie möglich und soweit es früher der Fall war, über Hamburg verläuft und nicht abgedrängt wird.

Hier wirkt sich die Dollarklausel, die auch für deutsche Verkehrsleistungen besteht, auf viele deutsche Möglichkeiten, solche Dienste anzubieten, hindernd aus. Das gilt gerade in bezug auf Transite, die Deutschland und Hamburg in dem West-Ost-Austausch offerieren können. Ich möchte das besonders hervorheben, weil die westeuropäischen Planungen und Berichte immer mit Recht betonen, daß der zukünftige Austausch in Europa, der zukünftige Verkehr zwischen den Ländern Europas, wie es wörtlich heißt, „natürliche Wege gehen möge“. Wir stellen demgegenüber fest, daß gerade durch die Dollarklausel, die für deutsche Verkehrsmittel eingerichtet ist, heute Transporte aus dem Osten und Südosten nach Westen den Weg um die Dollarinsel Westdeutschland herum nehmen. Ich kann diesen Umweg nicht als einen natürlichen Weg bezeichnen, sondern im Gegenteil als eine äußerst künstliche Verkehrsroute.

Kurzum, Schwierigkeiten und Hindernisse in einer Förderung und Entwicklung des West-Ost-Austausches sind vorhanden. Wir sind uns dessen bewußt. Trotzdem sollen und müssen wir versuchen, gerade von Hamburg aus diesen Weg zu beschreiten. Meines Wissens besteht keine Kontinentalsperre zwischen Osten und Westen — das beweisen die Außenhandelszahlen anderer europäischer Länder in ihrem Austausch mit Osteuropa —, sondern die Sperrlinie verläuft im wesentlichen nur auf deutschem Gebiet.

Das ERP-System

Nun zum zweiten, dem Weg des ERP. Die Vision dieses weltwirtschaftlichen Programms ist nicht geboren aus der Haltung eines Bankiers, der etwa in die Lage versetzt wird, sein gutes Geld schlechtem Geld hinterherzuwerfen. Das heißt, man will nicht mit den ERP-Lieferungen die Devisenmangellage, die Dollarknappheit der westeuropäischen Marshall-Plan-Länder, durch Hingabe von Dollar für kurze Zeit mildern oder zeitweilig überhaupt aufheben, sondern man will das Übel aus der Wurzel heraus kurieren. Man will durch die ERP-Hilfe bis 1952/53 die Produktions- und Verkehrsapparate in Europa, die Volkseinkommen und die Arbeitsleistung wieder auf eine solche Höhe bringen, daß damit nach Ablauf dieser Hilfe Europa auf eigenen Füßen stehen kann, d. h. damit die Zahlungsbilanz- Defizitlage beendet ist.

Es muß mit besonderer Genugtuung betont werden, daß sich durch alle Berichte und Planungen, die im Zusammenhang mit dem ERP von amerikanischer Seite veröffentlicht werden, die Erkenntnis hindurchzieht, daß für dieses Programm die volle Ausnutzung der deutschen Produktions- und Verkehrskapazitäten eine Bedingung ist. Entsprechend dieser Erkenntnis sind in dem Long-Term-Programm, das für Deutschland speziell aufgestellt ist, die Produktions- und Investitionszahlen bis zum Jahre 1952/53 fixiert. Dort wird für dieses Planziel eine deutsche Industrieproduktion eingesetzt von 110 % des Standes von 1936 und für die Landwirtschaft eine Produktion von 100 %. Allerdings wäre dafür insgesamt eine Investitionssumme von 27 Mrd. erforderlich. Der Bevölkerungszusammenballung in Deutschland und der damit gegebenen Notwendigkeit, Deutschland neu zu industrialisieren, in einer zweiten Industrialisierungswelle voranzubringen, ist im Prinzip mit derartigen Planungen Rechnung getragen. Wir müssen das mit Befriedigung feststellen und anerkennen.

Alle Absichten, die etwa darauf hinausliefen, Deutschland weltwirtschaftlich auszuklammern, einzuebnen zu einer agrarischen Steppe oder einem ähnlichen, nicht zur Weltwirtschaft gehörenden Gebiet zu machen, sind damit radikal über Bord geworfen. Aber auf der anderen Seite bedeuten derartige Planungen naturgemäß für uns, für Deutschland, eine Aufgabe — besonders wenn die Aufgabe nun lautet, daß Westdeutschland in Zukunft nicht nur wieder in den Welthandel eingeschaltet werden, sondern darüber hinaus mehr Außenhandel haben soll als früher, entsprechend der höheren Industrialisierung. Die für 1952/53 vorgesehene Ausfuhr von 2,8 Mrd. Dollar aus Westdeutschland wird um 60 % höher sein als die geschätzte Vorkriegsausfuhr des bizonalen Gebietes. Das bedeutet weiter, daß der Anteil des Exports an der Gesamtproduktion der westdeutschen Industrie dann etwa 15 % ausmachen wird bei einer gesamtdeutschen Exportquote von 11 % im Jahre 1936. Die Frage für uns lautet also: Wird Deutschland in der Lage sein, derartige Ausfuhren im weltwirtschaftlichen Kräftespiel durchzusetzen und wie wird dies möglich sein?

Sicherlich warten unser sehr viele Hindernisse. Eine Gefahr möchte ich hier ganz deutlich aussprechen. Sie kann im ERP selbst liegen, besser noch: in der Auffassung, die manche Länder, vor allem Nachbarländer, von diesem Hilfsprogramm haben — etwa in der Weise, daß sie die Lieferungen und die Kredite, die von drüben gegeben werden, auffassen als eine Chance, nun im eigenen Lande Produktionsapparate aufzubauen, damit es ihnen in Zukunft möglich sei, sich von deutschen Lieferungen unabhängig zu machen. Das heißt, die Gefahr ist gegeben, daß in manchen Ländern die ERP-Hilfe für Autarkie-Investitionen benutzt wird.

Dieser Gefahr der Autarkie-Investitionen aus dem ERP heraus kann man auf zweierlei Weise begegnen. Die eine Möglichkeit besteht darin, daß man die nationalen Produktionsprogramme aufeinander abstimmt. Das ist, um es ganz deutlich zu sagen, ein planwirtschaftlicher Weg. Dieser planwirtschaftliche Weg wird beschritten im Büro des ERP in Paris durch Aufstellung und Zusammenfügung der nationalen Produktionspläne. Aber er genügt nicht allein; wir müssen von uns aus weiteres dazu tun. Wir müssen ein konkurrierendes Angebot entfalten, und zwar schnell oder — falls dieses konkurrierende Angebot nicht von uns aus in die betreffenden Länder gebracht werden kann, um dort Autarkieinvestitionen zu verhindern — wir müssen auf andere Märkte ausweichen. Dieser zweite Weg, der sich also aufzweigt — Entwicklung eines konkurrierenden Angebots oder Ausweichen auf dritte Märkte —, bedeutet konkurrenzwirtschaftliches Vorgehen. Wie sollte es im Außenhandel anders sein? Das bedeutet aber für uns den Zwang zu einer Ausfuhr, die waren- und ländermäßig möglichst breit gestreut ist, die möglichst vielseitig in ihrem Sortiment ausgestaltet ist, damit wir auf diese Weise sowohl Autarkie-Investitionen wettbewerblich vermeiden helfen, wie auch uns in die bestehenden Lücken des Welthandels möglichst reibungslos einschalten können.

Aufgaben deutscher Handelspolitik

Es ist erfreulich, daß die ERP-Planung für das letzte ERP-Jahr, das Planzieljahr, dieser Tendenz Rechnung trägt. Sowohl waren- wie ländermäßig ist der geplante Export für das letzte Jahr relativ gleichmäßig verteilt. Aber unser Wunsch muß sein, daß diese Tendenz, den deutschen Export möglichst auseinanderzufächern, bald vor dem Planzieljahr, verwirklicht wird. Das heißt, um ganz konkret zu sprechen, die großen Exportanteile des Bergbaus und überhaupt der Rohstoffe müssen sich verschieben zugunsten der Fertigwarenanteile. Oder ein anderes: Die Konzentration der deutschen Exporte auf eine, bestimmte Ländergruppe, nicht nur die Marshall- Plan-Länder im engeren Sinne, muß abgelöst werden durch eine nach Ländern gleichmäßiger aufgeschlüsselte Ausfuhr auch nach Übersee und nach Ost- und Südosteuropa. Um dieses Ziel eines schnelleren Auseinanderbreitens und Auseinanderstreuens des deutschen Exports in möglichst kleine Pakete und Länderanteile zu erreichen — es sollte kein Endziel sein, sondern ein Nahziel —, bedarf es von uns aus nicht nur der Produktionsanstrengungen, der Arbeit, sondern es bedarf auch weiterer Erleichterungen für die deutsche Ausfuhr.

Ich will hier nicht den bekannten Katalog der Wünsche und Forderungen wiederholen, den wir von Deutschland aus bezüglich des deutschen Außenhandels ständig äußern und publizieren; ich möchte nur einiges wenige dazu sagen. Einmal muß Deutschland, um dieses erste Ziel zu erreichen, in die Lage versetzt werden, eine wirkliche Handelspolitik zu treiben. Für das Studium der Märkte bedarf es eigener amtlicher Vertretungen im Ausland, bedarf es auch eines eigenen amtlichen Apparates für Delegationen zum Abschließen von Handelsverträgen. Weiter sind die Fragen der eigentlichen Handelspolitik meines Erachtens wichtiger als die Fragen des Verfahrens. In der deutschen Öffentlichkeit ist in den letzten Monaten vielleicht die Frage des Außenhandelsverfahrens etwas zu ausgiebig behandelt worden. Das neue Außenhandelsverfahren hat den deutschen Exporteur von der Vorzensur freigestellt. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß es keinen Fortschritt darstellen würde, wenn nun etwa die Kontrollinstanzen der Alliierten versuchen würden, durch die Hintertür einer nachträglichen verschärften Exportprüfung das verlorene Terrain wiederzugewinnen. Dann würden wir uns allerdings auf diesem Gebiet im Stile der bekannten Springprozession bewegen.

Demgegenüber ist andererseits zu betonen, daß es im eigensten Interesse der Exporteure und Deutschlands liegt, daß die gewonnenen Freiheiten nicht mißbraucht werden. Die Notwendigkeit, Mißbräuche auf dem Gebiete der Ausfuhrdevisenerlöse zu verhindern, d. h. eine Kapitalflucht unter allen Umständen zu unterbinden, ist klar und liegt auf der Hand. Es ist von deutscher Seite durchaus erkannt und übrigens auch von Hamburg, von der hiesigen Hamburgischen Behörde für Wirtschaft und Verkehr, immer wieder betont worden, daß wir eine wirksame Devisengesetzgebung benötigen. In Anbetracht der politischen und gesamtwirtschaftlichen Situation müssen wir von Deutschland aus für die deutsche Außenwirtschaft ein möglichst freies Außenhandelsverfahren erstreben, aber zugleich eine straffe und scharfe Devisenkontrolle. Dies muß miteinander kombiniert werden. Das ist ein schweres Problem, aber wir müssen es lösen.

Auch nach meinen kürzlichen Erfahrungen im Ausland ist ein Verzicht auf eine Devisenkontrolle, d. h. die Einführung eines frei sich einpendelnden Gleichgewichtskurses (Devisenwechselkurses) vorläufig eins Utopie. Die Tendenz, Devisenerlöse nicht voll abzuliefern, also Exporterlöse im Auslande stehen zu lassen, ist in keiner Weise nur etwa eine schlechte Eigenschaft einiger deutscher Exporteure; im Gegenteil, wir beobachten sie überall im Ausland, vor allem in Westeuropa. Alle diese Exporteure verhalten sich damit naturgemäß nicht marktgerecht: sie machen ihre eigene Währung immer weicher und den begehrten Dollar immer härter. Solange diese Tendenzen bestehen, ist auf eine Devisenkontrolle nicht zu verzichten. Dieses gilt mindestens in dem gleichen Umfange wie für Deutschland so für andere westeuropäische Länder.

Damit bleibt für uns aus der ganzen Situation heraus die Devisenzuteilung als hauptsächliches Lenkungsinstrument der Einfuhr bestehen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit — und das ist eine Forderung —, daß Deutschland wieder in die Lage versetzt wird, sich selbst durch eine entsprechende Zuteilung der anfallenden Devisen für bestimmte Importe aus bestimmten Ländern auf diese Weise Absatzmärkte im Austauschverfahren für seine eigenen Exporte im Ausland zu eröffnen, d. h. Deutschland muß es erlaubt werden, sich auf bilateralem Wege über die Importdevisenzuteilung für eigene Exporte Absatzräume zu erschließen. Dieser bilaterale Weg sollte für die deutsche Handelspolitik nicht versperrt sein. Eine solche Einfuhrlenkung schließt eine Kontrolle der alliierten Stellen über die deutsche Devisenzuteilung keineswegs aus, im Gegenteil, sie schließt sie ein. Dabei bin ich allerdings der Meinung, daß die Devisenzuteilung und Einfuhrlenkung in die Hände des Staates gehören; denn sie sind, solange sie in diesem Sinne gebraucht werden, Werkzeuge der staatlichen Handelspolitik. Die Handhabung dieser Werkzeuge gehört nicht zur wirtschaftlichen Selbstverwaltung, sondern muß öffentlich-rechtlichen Instanzen vorbehalten bleiben, solange die politische und wirtschaftliche Notwendigkeit des Gebrauchs dieser Werkzeuge besteht.

Wir wissen alle, daß ein schwerer Weg bis zu dem gesteckten Ziel vor uns liegt. Wir müssen aber auch offen bekennen, daß dieser Weg deswegen für uns sehr oft so schwer gangbar ist, weil auf seiner Strecke Interessenkollisionen zu überwinden sind, Zusammenstöße mit Konkurrenten, die übrigens nicht nur draußen auf den Weltmärkten verkommen, sondern ebenso sehr auf dem Binnenmarkt selbst. Die nüchterne Feststellung solcher tatsächlich vorhandenen Interessengegensätze sollte uns davon abhalten, Forderungen und Wünsche auf dem Gebiete des Außenhandels mit moralisierendem Pathos vorzutragen. Denken wir auf diesem Gebiete lieber etwas kaufmännisch! Forderungen und Wünsche, die wir von Deutschland aus Vorbringen, sind nach meinem Dafürhalten nur dann angebracht, wenn die Erfüllung dieser Postulate die wirtschaftliche Voraussetzung dafür ist, daß Deutschland sich möglichst bald selbst erhalten und seinen Wiedergutmachungspflichten auf eine ökonomische Weise nachkommen kann. Nur unter diesem Aspekt können wir meines Erachtens unsere Forderungen aufstellen, und allein dieser Gesichtspunkt scheint mir für den Katalog unserer Wünsche sinnvoll und würdig.

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