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Erinnerungen an den “Wirtschaftsdienst”

von Dr. Carsten R. Moser

Nicht viele Publikationen schaffen es, ihren 100. Geburtstag bei guter Gesundheit zu feiern. Dem „Wirtschaftsdienst“ deshalb herzlichen Glückwunsch! Wenn die Zeitschrift denn auch noch einem ihrer ehemaligen Chefredakteure Gelegenheit gibt, auf die Jahre zwischen 1968 und 1973 zurückzublicken, dann ist das eine große Ehre.

Carsten R. Moser war Chefredakteur von Wirtschaftsdienst und Intereconomics von 1971 bis 1972.

Was ist nicht alles in der Welt passiert in den Jahren, in dem ich beim „Wirtschaftsdienst“ diente: der Prager Frühling und die Pariser Studentenrevolte hinterlassen weitreichende politische und gesellschaftliche Spuren, mit Neil Armstrong landet der erste Mensch auf dem Mond, Willy Brandt wird Bundeskanzler, es toben Kriege in Vietnam, dem Nahen Osten, in Nordirland, zwischen Pakistan und Indien, usw., Brasilien gewinnt seine dritte Fußball-Weltmeisterschaft, die RAF-Köpfe Baader und Meinhof werden festgenommen, Großbritannien tritt der EWG bei, die Olympischen Spiele in München werden von einem Terroranschlag überschattet, in Chile putscht General Pinochet gegen den Präsidenten Allende, Watergate zwingt den US-Präsidenten Nixon zum Rücktritt...

Auch in meinem Leben änderte sich viel in diesem Zeitfenster: 1968 machte ich mein Examen als Diplom-Volkswirt, schloss den Bund der Ehe und wurde Doktorand bei Professor Heinz-Dietrich Ortlieb. Ich hatte ihn während des Studiums kennen- und schätzengelernt,  sicherlich auch weil mich schon immer die Kombination Wirtschaft und Politik interessierte. Wir einigten uns auf das Dissertationsthema „Tourismus und Entwicklungspolitik – dargestellt am Beispiel Spaniens“. Meine Eltern lebten damals in Madrid, was mir den Zugang zu spanischer Tourismus-Literatur erleichterte. Gleichzeitig bot mir das HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung-Hamburg eine Halbtagsstelle in seiner Redaktion an. Wahrscheinlich weil ich, nach 10 Schuljahren in Peru, mein Abitur in Kanada gemacht hatte und meine Englischkenntnisse gut zu „Intereconomics“, der zweiten HWWA-Publikation, passten. So startete ich meine berufliche Laufbahn in den damaligen Räumlichkeiten der Redaktion in Eppendorf, mit Dietrich Kebschull als Chefredakteur und Wolfgang Reisener als sein Stellvertreter. Wir zogen zweimal um, erst in das alte DAG-Haus gegenüber der Musikhalle und dann in den Jungfernstieg, mit Blick auf die Innenalster.

Geplant hatte ich eigentlich, die Doktorarbeit in zwei Jahren fertigzustellen. Doch durch Professor Ortliebs Angebot an Otto G. Mayer und mich, ab 1969 Redakteure und ab 1971 Chefredakteure von „Wirtschaftsdienst“ und „Intereconomics“ zu werden, erlangte ich erst im Januar 1973 meinen Doktortitel. Die dreifache Belastung Familie, Job und Dissertation war hart. Doch von Reue keine Spur: sowohl in der Redaktion als auch im HWWA herrschte ein sehr gutes Betriebsklima; wir kamen mit vielen interessanten Leuten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in Kontakt; und ich lernte eine ganze Menge über Schreiben, Redigieren und Blattmachen – Eigenschaften, die mir im weiteren Berufsleben zugutegekommen sind.

Bei den Vorbereitungen für diesen Beitrag kramte ich in alten Papieren und fand eine Aufstellung von Beiträgen, die ich damals im „Wirtschaftsdienst“ veröffentlicht habe. Viele Überschriften könnten von heute stammen, so „Reformpolitik verlangt Steueropfer“ oder „Regierung ohne China-Strategie“ oder „Der unmündige Verbraucher“. Auf jeden Fall haben diese Jahre geholfen, mir klarzumachen, dass mich eine Karriere im Journalismus mehr reizte als eine in der Wissenschaft. So kam es, dass ich 1973 Korrespondent von „Die Zeit“ in Spanien und Portugal wurde, 1978 zum „Stern“ wechselte, zunächst als stellvertretender Ressortleiter Ausland, dann als Textchef und zuletzt als Korrespondent in London, um ab 1985 den spanischen Zeitschriften-Verlag von Gruner + Jahr zu leiten. 2007 wurde ich Generalsekretär der spanischen  Bertelsmann-Stiftung. Auch nach meiner Pensionierung habe ich das Glück, weiterhin aktiv sein zu dürfen, als Ratgeber verschiedener Firmen und Institutionen sowie als Kolumnist. Fazit: ich bin meinem Doktorvater Professor Ortlieb, dem HWWA-Institut und den Zeitschriften „Wirtschaftsdienst“ und „Intereconomics“ für die Jahre zwischen 1968 und 1973 dankbar, denn sie stellten die Weichen für meine weiteren beruflichen Werdegang, der mir viel Vergnügen beschert hat.

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