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Wirtschaftspolitische Tendenzwende ist notwendig

59. Jahrgang, 1979, Heft 6

Ein Beitrag der niedersächsischen Ministerin für Wirtschaft und Verkehr zur Debatte über ein norddeutsches Strukturprogramm

von Birgit Breuel

Über die wirtschaftspolitische Diagnose für die norddeutschen Küstenländer besteht unter den Beteiligten seltene Einmütigkeit: Am 28. November1978 behandelte die Konferenz der Regierungschefs der norddeutschen Länder die vorgelegte Strukturanalyse Norddeutschlands. Ein wesentliches Ergebnis dieser Analyse ist die Feststellung, daß Norddeutschland in vielerlei Hinsicht vor besonderen sektoralen und regionalen Entwicklungsproblemen steht. Die Krisen in der Stahl- und Textilindustrie sowie im Schiffbau belegen dies drastisch.

 

Birgit Breuel, CDU-Politikerin, war von 1978 bis 1986 niedersächsische Ministerin für Wirtschaft und Verkehr, danach bis 1990 niedersächsische Finanzministerin. 1990 wurde Breuel in die Geschäftsleitung der Treuhandanstalt gewählt, von 1991 bis 1995 war sie deren Präsidentin. Anschließend übernahm sie als Generalkommissarin die Organisation der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover.

Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung

Am 11. Januar 1979 besprachen die Regierungschefs der norddeutschen Länder die in der Strukturanalyse aufgezeigten wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven mit dem Bundeskanzler. Die Strukturanalyse war auch Thema einer Besprechung zwischen Vertretern der Wirtschaftsressorts der norddeutschen Länder und Vertretern der Bundesministerien für Wirtschaft, der Finanzen, für Verkehr, für Arbeit und Sozialordnung sowie für Forschung und Technologie. Anfang Februar 1979 wurde vereinbart, eine weitergehende Strukturanalyse zu den Problemfeldern Bevölkerungsstruktur und -entwicklung, Arbeitsmarkt, Wirtschaftsstruktur, Industriebeschäftigung, Forschung und Verkehrswesen zu erstellen. Die Arbeiten an der Analyse stehen vor dem Abschluß.

Angesichts der besonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der norddeutschen Länder muß sich der Bund hier weit stärker als bisher finanziell engagieren. In diesem Zusammenhang wird jetzt auch ein Strukturprogramm Norddeutschland diskutiert. Naturgemäß ist es unmöglich, bereits im gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem die nähere Ausgestaltung dieses Strukturprogramms noch nicht feststeht, dazu abschließend Stellung zu nehmen. In Niedersachsen bestehen erhebliche Bedenken gegen derartige Programme, Bedenken, die sich nicht gegen die Notwendigkeit eines verstärkten finanziellen Engagements des Bundes richten, sondern auf grundsätzlichen Erwägungen über die Aufgaben des Bundes und der Länder im föderativen System der Bundesrepublik, über die zweckmäßige Finanzierung sowie über die Ausgestaltung der regionalen Strukturpolitik beruhen.

Wirtschaftspolitische Versäumnisse

Zunächst fällt dem unvoreingenommenen Beobachter das zeitliche Zusammentreffen zwischen dem kürzlich verkündeten Strukturprogramm Ruhrgebiet und dem geplanten Strukturprogramm Norddeutschland auf. Wirtschaftspolitische Versäumnisse in Verbindung mit veränderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ließen das Ruhrgebiet in vielen Augen als eine überdimensionierte Problemregion erscheinen. Das Fehlen eines langfristig wirksamen Strukturkonzepts für das Ruhrgebiet wurde mit abschwächender Konjunktur deutlich sichtbar. Die Scheinwelt relativ hoher, vom Preisanstieg der Energieträger begünstigter, nominaler Produktionswerte wurde von den politisch Verantwortlichen nicht erkannt oder Ignoriert, so daß der seit langem mögliche, aber auch notwendige Umstellungsprozeß im Montanbereich, der die Struktur des Ruhrgebietes immer noch prägt, nicht stattfand.

Das Ruhrgebiet ist ein besonders markantes Beispiel dafür, wie ein von den Kräften des Marktes gesteuerter Strukturwandel nicht gefördert, sondern durch massive Subventionierung bestehender Branchen behindert wurde. So erhielt der Kohlebergbau im Jahre 1974 Subventionen in Höhe von 8300 DM je Beschäftigten, die um mehr als das Zehnfache über dem Wert für den industriellen Durchschnitt in Höhe von 770 DM je Beschäftigten lagen. Die Subventionierung der traditionellen Industriesektoren des Reviers konnte jedoch nicht verhindern, daß die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet mit 6,1 % Ende April 1979 erheblich über dem Bundesdurchschnitt lag.

Auf der „Ruhrkonferenz“ am 8. Mai 1979 in Castrop-Rauxel stellte Ministerpräsident Rau ein 5-Jahres-Programm der Landesregierung für das Ruhrgebiet vor. Für das Programm soll ein Finanzvolumen von rd. 5 Mrd. DM mobilisiert werden, davon will das Land 4 Mrd. DM, der Bund soll mindestens 1 Mrd. DM tragen. Eine öffentlich ausgesprochene Zusage des Bundes liegt allerdings bisher noch nicht vor.

Der Bundesregierung ist an einer engen Verbindung zwischen dem Strukturprogramm Norddeutschland und dem Strukturprogramm Ruhrgebiet sehr gelegen. Mein Eindruck Ist, daß man in Bonn bewußt eine solche Verquickung schaffen wollte, um das vom Bund aus wahltaktischen Gründen gewollte und favorisierte Ruhrprogramm politisch leichter durchsetzen zu können. Dadurch werden zwei so unterschiedlich begründete Programme zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt, die angesichts der strukturellen Unterschiede zwischen dem Ruhrgebiet und den norddeutschen Ländern sachlich nicht gerechtfertigt erscheint.

Der ganze Widersinn der Pläne wird daran deutlich, daß man mit dem beabsichtigten Strukturprogramm Nordrhein-Westfalen dem Ruhrgebiet Wettbewerbsvorteile gegenüber den anderen Bundesländern verschaffen will, die dann durch ein Strukturprogramm Norddeutschland wieder neutralisiert werden sollen. So wird die notwendige Hilfe für Norddeutschland zur Farce.

Wildwuchs an Bundesprogrammen

Ein weiterer Einwand richtet sich dagegen, daß durch ein Programm Norddeutschland die vom Bund maßgeblich verursachte Inflation der Programme weiter verstärkt wird. Und es ist kein Ende abzusehen: So spricht man im Bundeswirtschaftsministerium bereits von einem Programm für die Montanstandorte. Die Niedersächsische Landesregierung hat immer darauf hingewiesen, daß sie sich nicht auf den Irrweg eines wirtschaftspolitischen Aktivismus begeben will. Sie sieht es als wichtige ordnungspolitische Aufgabe an, den Wildwuchs an Bundesprogrammen, der die Länder unter immer stärkeren Zugzwang setzt, gründlich zu durchforsten. Dies gilt ebenso für die Länderprogramme, deren Zahl angesichts des begrenzten finanziellen Spielraumes der Länderhaushalte bei gleicher Effektivität des Mitteleinsatzes reduziert werden soll.

Ein spezielles norddeutsches Küstenprogramm wird auf keinen Fall die Unterstützung der Niedersächsischen Landesregierung finden, weil es nach ihrer Auffassung nur um die Lösung der Strukturprobleme des gesamten norddeutschen Raumes geht. Eine spezielle Förderung der Küstenregion würde zudem das Land Niedersachsen in zwei förderpolitische Teile zerschneiden, mit sehr ungünstigen Auswirkungen auf die regionale Strukturpolitik des Landes. Die Niedersächsische Landesregierung geht vielmehr davon aus, daß die vier norddeutschen Küstenländer im gleichen Maße — wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung — von gemeinsamen Strukturproblemen betroffen sind.

Subventionswettlauf der Bundesländer

Die Inflation der Förderprogramme hat dazu geführt, daß heute bereits mehr als zwei Drittel der Fläche und weit über ein Drittel der Bevölkerung der Bundesrepublik zu den Fördergebieten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zählen. Ein großer Teil der restlichen Fläche und Einwohner werden im Rahmen von Landesprogrammen gefördert. Heute gibt es praktisch keinen Industriezweig, der keine Subventionen erhält. Die Spanne reicht dabei nach den Daten aus dem Jahre 1974 von 115 DM je Beschäftigten in der kunststoffverarbeitenden Industrie bis zu 8300 DM je Beschäftigten im Kohlebergbau.

Der Subventionswettlauf zwischen den Bundesländern führt aber letztlich dazu, daß sich die gleichgerichteten Anstrengungen der Länder um Industrieansiedlungen weitgehend relativieren oder sogar neutralisieren. Das Ergebnis ist ein krasses Mißverhältnis zwischen Aufwand in Form von Millionenbelastungen der Länderhaushalte und Ertrag in Form von erfolgreichen Industrieansiedlungen. Aufgrund geographischer Gegebenheiten ist dieses Konkurrenzverhältnis zwischen den norddeutschen Flächenstaaten Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie den Stadtstaaten Hamburg und Bremen besonders deutlich ausgeprägt.

Bedenken gegen Mischfinanzierung

Der bisherigen Praxis entsprechend würde das Strukturprogramm Norddeutschland im Wege der Mischfinanzierung von Bund und Ländern getragen werden. Die Niedersächsische Landesregierung hat immer bekundet, daß sie prinzipielle Bedenken gegen die Mischfinanzierung hat. Für sie erscheint es nicht akzeptabel, daß der Bund für eine ihm wichtig erscheinende Aufgabe den Ländern Mittel anbietet und die Länder für dieses Projekt noch einen entsprechenden Landesanteil zuschießen müssen, weil der Bund dadurch Einfluß auf die landespolitischen Prioritäten nimmt und einen großen Teil der Landesmittel bindet.

Grundsätzliches Ziel Niedersachsens ist die Entflechtung der Mischfinanzierung und eine klare Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern, ohne daß dabei die Finanzmasse beider Finanzierungspartner verändert wird. Wenn der Bund argumentiert, daß die Mischfinanzierung eine Hilfe für die Länder darstellt, so kann diese notwendige und willkommene Hilfe weitaus besser im Wege der pauschalen, aber zweckgebundenen Mittelzuweisung erfolgen. Die Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben darf keinen Zugzwang für die Länder bedeuten, Mittel in gleicher Höhe aufzubringen, weil sich sonst die finanzielle Abhängigkeit der Länder vom Bund, die bereits seit langem ein für unser föderales System untragbares Ausmaß erreicht hat, weiter zunimmt. Der Vorteil einer klaren Abgrenzung zwischen den Aufgaben des Bundes und der Länder mit den sich daraus ergebenden finanzpolitischen Konsequenzen liegt vor allem in der besseren Berücksichtigung landespolitischer Zielsetzungen.

Gefahr der Dauersubventionierung

Aus ordnungspolitischer Sicht besteht bei dem geplanten Strukturprogramm Norddeutschland die Gefahr, daß mit massiver staatlicher Subventionierung die bestehenden Strukturen gefestigt werden, obwohl sich gezeigt hat, daß Wirtschaftsstrukturen nicht gegen die Marktkräfte zu erhalten sind. Allen Verantwortlichen sollte klar sein, daß eine massive Subventionspolitik, wie sie in letzter Zeit wieder verstärkt betrieben wird, den in manchen Bereichen so notwendigen Strukturwandel behindert und letzten Endes in vielen Fällen nichts anderes als eine Art Sterbehilfe für Unternehmen und Branchen darstellt. Wenn man mit zusätzlichen Programmen noch freigiebiger als bisher Subventionen zur Verfügung stellt, untergräbt man in den bedrohten Branchen und Regionen den Willen und die Fähigkeit, den Strukturwandel aus eigener Kraft zu bewältigen. Staatliche Hilfen sollten nur als zeitlich begrenzte Anpassungshilfen gegeben werden, wenn zu erwarten ist, daß die geförderten Branchen und Unternehmen in absehbarer Zeit wieder in die Gewinnzone zurückfinden. Es besteht die Gefahr, daß man in dem Strukturprogramm Norddeutschland wieder zur Therapie der Dauersubventionierung greift.

In der Praxis ihrer regionalen Struktur hat die Niedersächsische Landesregierung deutlich gemacht, wie ein langfristiges Strukturprogramm für den norddeutschen Wirtschaftsraum aussehen kann; Niedersachsen hat aufgrund seiner historischen Entwicklung im besonderen Maße wirtschaftspolitische Hypotheken abzutragen. Dazu gehören sowohl der überproportionale Anteil strukturschwacher Regionen wie z. B. das Zonenrandgebiet als auch die Konzentration von Problembranchen in einzelnen Landesteilen. Große Anstrengungen des Landes in der Vergangenheit haben dazu geführt, daß Niedersachsen Anschluß an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik gefunden hat und sich heute als ein Land präsentiert, das in vielen Bereichen auf beste Zukunftschancen setzen kann.

Anstrengungen der Landesregierung

Ein wesentlicher Vorteil des Landes Niedersachsen ist seine Lage am seeschifftiefen Wasser der Nordsee. In weiten Bereichen der Meerestechnik und der Meerestechnologie haben sich niedersächsische Unternehmen eine weltweit führende Position erkämpft. Das Land wird in diesem Wachstumsbereich seine Anstrengungen intensivieren und das große Plus des direkten Zugangs zum Meer und seiner Tradition in allen Wirtschaftsbereichen, die mit dem Meer verbunden sind, als Hauptwachstumschance einsetzen.

Zukunftssichere Arbeitsplätze müssen vor allem in den Regionen geschaffen werden, die durch eine besondere Strukturschwäche bzw. eine überproportionale Bevölkerungsentwicklung gekennzeichnet sind. Dabei geht die Niedersächsische Landesregierung zweigleisig vor, denn sie will dieses Ziel auf der einen Seite durch Industrieansiedlungen, auf der anderen Seite durch Stärkung der vorhandenen Wirtschaftskraft erreichen. Wilhelmshaven und Stade dokumentieren den Erfolg der niedersächsischen Industrieansiedlungspolitik, bei der ansiedlungsinteressierten Unternehmen umfassende Serviceleistungen angeboten werden wie die Beratung bei der Auswahl des geeigneten Standortes und die Unterstützung in organisatorischer und finanzieller Hinsicht bei der Durchführung von Ansiedlungsvorhaben. In diesem Zusammenhang ist der neuentwickelte Standortatlas zu erwähnen, der mit einem Standortinformationssystem verbunden ist, bei dem über Computer alle Daten der niedersächsischen Industriestandorte, die für ansiedlungswillige Unternehmen interessant sind, jederzeit per Knopfdruck abgerufen werden können.

Ausbau der Infrastruktur

Besonderes Schwergewicht legt die Niedersächsische Landesregierung auf den Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur, insbesondere durch die Erschließung neuer Industrieflächen. Niedersachsen verfügt vor allem über folgende Standorttypen:

  • Standorte am seeschifftiefen Fahrwasser mit großen Flächenreserven für die Ansiedlung von Grundstoffindustrien,
  • Standorte in der Nähe der traditionellen Industriezentren für absatzorientierte Unternehmen und Zuliefererbetriebe z. B. für die Automobilindustrie,
  • Standorte in bisher schwach industrialisierten Räumen für Unternehmen mit hohem Arbeitskräftebedarf.

Im Flächenland Niedersachsen ist eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur für das weitere wirtschaftliche Wachstum des Landes eine wesentliche Voraussetzung. Daher ist der Bau der Emslandautobahn und später der Küstenautobahn erklärtes politisches Ziel der Niedersächsischen Landesregierung. Sie will die spezifischen Standortvorteile des Landes durch gezielten Ausbau der Infrastruktur weiter entwickeln, damit durch Industrieansiedlungen die notwendigen strukturellen Veränderungen herbeigeführt werden. Dabei kommt der Verbesserung der Infrastruktur insbesondere hinsichtlich der verkehrsmäßigen Erschließung, der Verwirklichung des Dollarthafenprojektes sowie dem Abbau des Süd-Nord-Gefälles in der Forschungsförderung besondere Bedeutung zu. Gerade in der Forschungsförderung hätte der Bund gute Möglichkeiten, die bisherige finanzielle Benachteiligung Norddeutschlands abzubauen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Die Niedersächsische Landesregierung will mit ihren Wirtschaftsförderungsmaßnahmen eine ausgewogene, zukunftsorientierte Branchenstruktur aus kleinen, mittleren und großen Unternehmen aufbauen. Für sie verbieten sich alle Förderungsmaßnahmen, die den Charakter von Dauersubventionen tragen. Vielmehr sind ihre Maßnahmen eine Hilfe zur Selbsthilfe und ein Anreiz, damit die niedersächsische Wirtschaft in eigener Verantwortung den ökonomisch richtigen Weg der notwendigen Anpassung an den wirtschaftlichen Strukturwandel findet.

Beim Einsatz von Landesbürgschaften geht die Niedersächsische Landesregierung davon aus, daß ihr Zweck nicht sein kann, mit Steuermitteln, die das Land treuhänderisch verwaltet, Betriebe künstlich am Leben zu erhalten. Landesbürgschaften sollen auch keine Fehler des Managements ausbügeln, sondern an sich gesunden und entwicklungsfähigen Betrieben, die in vorübergehende finanzielle Engpässe geraten sind, über diese kritische Zeit hinweghelfen, damit ihre Arbeitsplätze gesichert bleiben. Auf keinen Fall wird die Niedersächsische Landesregierung Unternehmen und Arbeitsplätze mit Gewalt erhalten, weil letztlich die Marktkräfte immer stärker sind.

Schwerpunkte künftiger Wirtschaftspolitik

Ein verantwortungsbewußtes Konzept für die norddeutschen Küstenländer muß auch dem Rechnung tragen, daß der Fachkräftemangel in verschiedenen Branchen zugenommen hat. Damit wird ein weiterer Schwerpunkt der zukünftigen Wirtschaftspolitik deutlich, die Sorge um die weitere Qualifizierung der Arbeitskräfte. Wenn in den 90er Jahren die geburtenstarken Jahrgänge ins Erwerbsleben einrücken und wenn gleichzeitig der internationale Wettbewerb weiterhin zu einer Umstrukturierung in Richtung auf hochqualifizierte Produktionen und intelligente Produkte zwingt, werden die norddeutschen Länder ihre Position nur dann behaupten bzw. ausbauen können, wenn ihr Arbeitskräfteangebot diesen Anforderungen qualitativ gewachsen ist. Die berufliche Bildung wird daher einer der Schwerpunkte künftiger Wirtschaftspolitik sein müssen.

In diesem Zusammenhang werden die norddeutschen Küstenländer Sorge tragen müssen, daß sich die Innovationsfähigkeit und -freudigkeit der Unternehmen wieder verstärkt. Vor allem gilt es, den Technologietransfer zu den kleinen und mittleren Unternehmen zu erleichtern, damit die dort in großem Maße vorhandenen innovatorischen Fähigkeiten gezielt ausgeschöpft werden können. Einen ersten Schritt hat Niedersachsen mit der Schaffung eines Erfinderzentrums getan. Es hilft allen, die aufgrund mangelnder finanzieller Möglichkeiten gute Ideen nicht verwirklichen können, bei der Realisierung ihrer Innovationen.

Damit die norddeutschen Länder bei zunehmender internationaler und nationaler Konkurrenz wettbewerbsfähig bleiben, müssen sie aus Gründen der Absatzchancen ihrer hochqualifizierten Produktion ein ausreichendes, sicheres und preiswertes Energieangebot bereitstellen. Energievorsorgepolitik gehört damit zu den notwendigen Schwerpunkten der Wirtschaftspolitik der norddeutschen Länder, denn hochwertige Produktionen erfordern in der Regel einen hohen Energieeinsatz. Eine halbherzige Haltung in der Energiepolitik, wie sie da und dort sichtbar wurde, wäre für die langfristige Entwicklung der norddeutschen Länder fatal. Ein Strukturprogramm Ruhrgebiet würde das ohnehin schon beträchtliche Strompreisgefälle zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen noch weiter verstärken.

Für ihre gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung brauchen die norddeutschen Länder eine Tendenzwende in der Wirtschaftspolitik, denn trotz aller landespolitischen Anstrengungen werden die wirtschaftspolitischen Weichen in Bonn gestellt. Besonders wichtig ist eine langfristig konzipierte, zukunftsorientierte Politik, damit die Unternehmen im norddeutschen Raum mit stabilen Rahmenbedingungen rechnen können, die wirtschaftliches Handeln für die Zukunft kalkulierbarer machen. Dazu zählt vor allem der verstärkte Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur.

Stärkung der Marktkräfte

Wichtiger als die Forderung nach einem Strukturprogramm Norddeutschland ist eine entschiedene Absage an verfehlte Konzepte wie wirtschaftspolitische Überreaktionen, den Ruf nach mehr Staat oder Strukturdirigismus. Vielmehr sollten sich alle norddeutschen Länder darum bemühen, die Marktkräfte wieder zu stärken und die bereits heute zu zahlreichen staatlichen Eingriffe in das Marktgeschehen abzubauen.

Wir in Niedersachsen sind jedenfalls fest entschlossen, diese Marktkräfte innerhalb unserer wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen grundsätzlich und langfristig zu stärken. Wir wollen, daß sich der Staat wieder stärker darauf beschränkt, marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu setzen, die eine Vielzahl von Entscheidungsalternativen auf allen Ebenen offen lassen und gleichermaßen wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen Rechnung tragen. Staatliches Handeln darf nicht mehr wie bisher bestimmte Problemlösungen erzwingen, sondern lediglich Anreize geben, eigenverantwortlich nach Lösungswegen zu suchen, weil wir darauf vertrauen, daß die Menschen selbst in eigener Verantwortung am besten herausfinden, wie sie die anstehenden Aufgaben bewältigen können. Im Interesse der Gemeinsamkeit der norddeutschen Küstenländer werden wir versuchen, in diesem Sinne unsere Nachbarn in ein gemeinsames Konzept einzubinden.

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