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Ein Schritt zur Währungsunion

58. Jahrgang, 1978, Heft 11

Ein Zeitgesprächsbeitrag des Bundesfinanzministers

von Hans Matthöfer

Die wirtschaftliche Integration der Länder der Europäischen Gemeinschaft ist weit vorangeschritten. Unser Handelsaustausch mit den Mitgliedsländern ist wesentlich stärker gestiegen als unser Außenhandel insgesamt. 1957 gingen 36 % unserer Ausfuhr in die heutigen EG-Mitgliedsländer, 1977 waren es 45 %. Der Anteil dieser Länder an unseren Gesamteinfuhren stieg im gleichen Zeitraum von 30 auf 48 %. Diese fortschreitende wirtschaftliche Integration hat sich als wichtiger Wachstumsfaktor für die Volkswirtschaften der Gemeinschaftsländer erwiesen.

Hans Matthöfer (1925-2009), SPD-Politiker, war von 1974 bis 1978 Bundesminister für Forschung und Technologie, von 1978 bis 1982 Bundesminister der Finanzen und 1982 Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen. Der Diplom-Volkswirt arbeitete nach seinem Studium etliche Jahre für die IG Metall. Nach Beendigung seiner poiltischen Karriere war er von 1987 bis 1997 Vorsitzender des Vorstandes der gewerkschaftlichen Vermögensholding BGAG.

Bild: AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung

Je mehr jedoch auf dem Gebiete des Handelsaustauschs der Gemeinsame Markt zur ökonomischen Realität wird, um so deutlicher werden die noch verbleibenden Handelshemmnisse. Die Harmonisierung von Rechtsvorschriften und Steuersystemen wird im Zuge dieser Entwicklung an Bedeutung gewinnen. Auch unterschiedliche Kursentwicklungen treten mit einer enger werdenden wirtschaftlichen Integration zunehmend als Hindernis für die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes und damit auch für die Freisetzung zusätzlicher Wachstumsmöglichkeiten hervor.

Die Geldwertstabilität ist eines der wichtigsten Ziele unserer Politik. In der letzten Zeit hat eine ganze Reihe von Ländern der Geldwertstabilität zunehmend eine hohe wirtschaftspolitische Priorität eingeräumt. Die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft haben es sich zum Ziele gesetzt, die Grundlinien ihrer Wirtschaftspolitik einander anzunähern. In dem Maße, wie das gelingt, verbessern sich auch die Chancen für eine Währungsordnung, die darauf beruht, die gegenseitigen Kursabweichungen der Währungen der Teilnehmerländer zunehmend einzugrenzen.

Bundeskanzler Helmut Schmidt und Präsident Giscard d’Estaing haben daher dem Europäischen Rat in Bremen Anfang Juli die Skizze eines neuen Europäischen Währungssystems (EWS) unterbreitet. Ihrer Auffassung nach haben sich die Voraussetzungen für eine stärkere Anbindung der Wechselkurse in Europa so weit gebessert, daß jetzt mit Erfolg gegen die Gefahren angegangen werden kann, die von floatenden Kursen für den Handelsaustausch, das Vertrauen der Investoren in die zukünftige Entwicklung, die europäische Integration und damit das politische Gewicht Europas ausgehen.

Der erste, mit der Schaffung der europäischen Währungsschlange im April 1972 gestartete Anlauf zu einem Europäischen Währungsverbund wurde alsbald gestoppt. Nahezu alle Länder hatten unter den inflationären Folgen eines übersteigerten Booms zu leiden, die von der Ölpreisexplosion nochmals verstärkt wurden. Das Hauptproblem der Schlange war die Differenz in der Preis- und Kostenentwicklung der einzelnen Mitglieder. Diese führte zu Wettbewerbsunterschieden und in der Folge zu Zahlungsbilanzungleichgewichten. Der Nachfrageüberhang nach Währung der Überschuß- länder übertrug bei festgehaltenen Kursen die Inflation auf Überschußländer. Der einhergehende Reservenverlust der Defizitländer drohte protektionistische Maßnahmen auszulosen. Die Disparitäten waren in einigen Fällen so stark, daß nur die Freigabe der Kurse übrig blieb. Großbritannien und Italien verließen bereits 1972 die Schlange, die nach der Freigabe des Dollarkurses im März 1973 als zusammengeschrumpfte Mini- Schlange zu floaten begann. Frankreich gab Anfang 1974 auf, versuchte aber 1975/76 eine Rückkehr.

Die Notbremse der Kursfreigabe rettete zwar den Gemeinsamen Markt, doch stoppte sie den Integrationszug. Dieser drohte sogar zurückzurollen; Durch die Kursfreigabe wuchsen die Disparitäten noch stärker. Die scheinbare Befreiung vom Zwang der Kursstabilität löste in einigen Ländern die letzten Fesseln für eine noch expansivere Wirtschaftspolitik. Die Ernüchterung folgte jedoch bald.

Abwertungsländer machten die Erfahrung, daß ein kumulativer Prozeß von Abwertungen und Preissteigerungen einsetzte, ohne daß der Zahlungsbilanzausgleich erreicht wurde. Die Kapitalflucht erschwerte den Ausgleich noch zusätzlich. Aufwertungsländer hingegen konnten sich zwar von der internationalen Inflation besser lösen, mußten jedoch feststellen, daß die Kursentwicklung häufig spekulativ überzogen wurde, Exportprobleme entstanden und Investoren verunsichert wurden.

Bessere Voraussetzungen

Die Erkenntnis wuchs, daß außenwirtschaftliches Gleichgewicht nicht durch Kursfreigabe, sondern wie im System fester Wechselkurse nur durch eine die realen Vorgänge beeinflussende interne Wirtschaftspolitik zu erreichen ist. Zugleich wurde deutlicher, daß Inflation mittelfristig beschäftigungs- und wachstumsschädlich wirkt, da sie zu Entscheidungen verleitet, die wirtschaftlich wenig sinnvoll sind und mit Wachstumseinbußen bezahlt werden müssen.

Die Einstellung zur Inflation hat sich im Vergleich zum Anfang der 70er Jahre grundlegend geändert. Alle Gemeinschaftsländer haben die Inflation energisch bekämpft: es wurden beträchtliche Erfolge erzielt. Niemand will sich auf dem Erreichten ausruhen, mochte es aber auch nicht gefährden, etwa durch spekulativ überzogene Abwertungen mit ihren schädlichen Folgen für das inländische Preisniveau.

Das starke Bedürfnis, erreichte Fortschritte durch mehr Kursstabilität zu sichern und auszubauen, ist die beste Voraussetzung für mehr Kursstabilität. Das Festhalten an gegensätzlichen Positionen der „Ökonomisten“ einerseits (Wechselkursstabilität ergibt sich allein aus einer harmonischen Wirtschaftsentwicklung) und der „Monetaristen“ andererseits (Wechselkursfixierung am Anfang des Prozesses zwingt Harmonisierung der Wirtschaftsentwicklung herbei) bringt uns nicht weiter.

Die Verpflichtung zur Einhaltung stabilerer Kurse wird die Stabilitätspolitik bei SchwachWährungsländern verstärken, die ihrerseits wieder mehr Kursstabilität produziert. Es handelt sich also um einen Rückkoppelungsprozeß.

Aufgaben des neuen Systems

Das neue EWS soll die europäische Integration unter dem Gesichtspunkt der Geldwertstabilität vorantreiben.

Stabilisierte Kurse als Instrument zur Förderung einer größeren Konvergenz der Wirtschaftsentwicklung gelten nicht absolut. Sie verlieren ihre Berechtigung, sobald sie Inflation zu übertragen beginnen. Um beiden Aufgaben gerecht zu werden, muß das EWS nach folgenden Kriterien aufgebaut werden:

  •  Der Mechanismus zur Herstellung von Kursstabilität muß funktionsfähig sein durch

— Verpflichtung zur Intervention bei Erreichen festgelegter Kurslimite und durch

— Bereitstellung ausreichender Mittel für Interventionszwecke.

  • Interventionen müssen auf ein stabilitätspolitisch vertretbares Maß begrenzt werden können durch rechtzeitige Kursanpassungen im Falle grundlegender Unterschiede in der Preis- und Kostenentwicklung.

Ausgehend von diesen Grundsätzen werden die Arbeiten auf Gemeinschaftsebene vorangetrieben. Die Konturen des in Bremen skizzierten Wechselkursverbundes zeichnen sich jetzt schärfer ab. Doch wird nicht sofort der gesamte Bremer Plan in die Praxis umgesetzt werden. Für eine Anlaufphase wird zunächst der Wechselkursverbund mit einem Saldenausgleichsverfahren sowie ein adäquates Kreditsystem geschaffen. Die Errichtung des Europäischen Währungsfonds (EWF) ist keine notwendige Voraussetzung für den Wechselkursverbund; bereits im Anhang zum Bremer Kommuniqué ist sie erst in spätestens zwei Jahren vorgesehen. Es bleibt daher ausreichend Zeit für eine sorgfältige Ausgestaltung des Fonds und die Vorbereitung der für seine Gründung notwendigen rechtlichen Grundlagen. Folgende Regelungen zeichnen sich ab:

Wechselkursverbund

Als Bezugsgröße wird die Europäische Währungseinheit EWE (englisch ECU) dienen, die bei der Ingangsetzung des EWS definiert wird. Für jeden bislang freifloatenden Teilnehmer wird auf der Grundlage der dann geltenden Marktkurse eine Parität zu dieser Währungseinheit bestimmt. Die Paritäten dienen zur Festlegung eines sogenannten „Paritätengitters" (d. h. der Wert einer jeden TeilnehmerWährung wird gegenüber allen anderen bestimmt) und fester Interventionspunkte für die Marktkurse. Die Spanne zwischen den oberen und unteren Interventionspunkten bleibt eng (angestrebt werden +/- 2,25 % wie in der heutigen „Schlange“). Wie in der „Schlange“ werden die Notenbanken zu Käufen bzw. Verkäufen am Devisenmarkt verpflichtet, wenn ihre Währung gegenüber einer anderen den unteren bzw. oberen Interventionspunkt erreicht. Da stets zwei Währungen gleichzeitig an ihre Interventionspunkte stoßen, ergibt sich für beide Notenbanken eine gleiche Interventionsverpflichtung.

Parallel dazu wird die Entwicklung jeder einzelnen Währung gegenüber dem Marktwert der EWE verfolgt. Dieser wird täglich für alle EG-Währungen als gewichteter Durchschnitt aus einem Korb aller EG-Währungen abgeleitet. Wir streben an, daß bei Erreichung bestimmter Schwellenwerte Konsultationen ausgelöst werden. In diesen Konsultationen sollen die Ursachen für das Abweichen der Währungen festgestellt und der jeweiligen Situation angemessene Maßnahmen beraten werden.

Je nach Lage könnten sich auch Interventionen vor Erreichung der verpflichtenden Interventionspunkte empfehlen; es ist aber ebenso möglich, daß der Einsatz anderer Instrumente, z. B. wirtschaftspolitische Maßnahmen, Währungsbeistände oder Paritätsänderungen, angebracht sind.

Die große Mehrheit der EG- Länder hat sich zum Prinzip gleicher Interventionsverpflichtungen bekannt. Hierin wird die Bereitschaft sichtbar, die Weichen in Richtung auf mehr ökonomische Stabilität zu stellen, ohne die kein Wechselkurssystem auf Dauer hält. Zum System gehört auch, daß Paritätsänderungen rasch und geräuschlos vollzogen werden, wenn die wirtschaftliche Entwicklung zu stark divergiert.

Saldenausgleich

Die Salden der aus Interventionen entstehenden Forderungen und Verpflichtungen werden in EWE denominiert. Diese von den Notenbanken gewährten sehr kurzfristigen Kredite haben in der „Schlange“ eine durchschnittliche Laufzeit von sechs Wochen. Diese Frist hat sich bewährt. Die Abrechnung der Interventionssalden konnte in der Anlaufphase wie bisher über den bestehenden Europäischen Fonds für Währungspolitische Zusammenarbeit (EFWZ) laufen.

In Bremen wurde angeregt, für den Saldenausgleich zwischen den Notenbanken, der gegenwärtig unmittelbar in Währungsreserven erfolgt, EWE im Gegenwert von 20 % der nationalen Währungsreserven zu schaffen. Diese EWE sollen bei dem noch zu errichtenden Europäischen Währungsfonds durch Hinterlegung von Gold und Dollar abgesichert werden. In der Anlaufphase kann dies sicherlich nicht durch Eigentumsübertragung geschehen, die bei uns eine Änderung des Bundesbankrechts erfordern wurde. Eher zu realisieren ist eine Verpfändung der im Eigentum der Notenbanken verbleibenden Währungsreserven an den EFWZ.

Kreditsystem

Zur glaubhaften Absicherung des Wechselkurssystems ist ein ausreichend großer Kreditspielraum erforderlich, der einmal kurzfristige Devisenprobleme und zum anderen mittelfristige Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz überbrücken helfen kann. Mittelfristige Kredite sollen nur gegen die Zusicherung einer bestimmten Wirtschaftspolitik eingeräumt werden, die geeignet ist, das Leistungsbilanzungleichgewicht zu beseitigen.

Im Anhang zum Bremer Kommuniqué wurde vorgeschlagen, zur Finanzierung von Zahlungsbilanzbeiständen nationale Währungen bereitzustellen. Der Umfang dieser Finanzierungsverpflichtungen soll ungefähr dem Volumen der hinterlegten Währungsreserven entsprechen (derzeit rund 25 Mrd. EWE). Auch diese Operationen sollen in EWE, die auf der Grundlage der bereitgestellten nationalen Währungen geschaffen werden, über den noch zu errichtenden Fonds abgewickelt werden.

Das neue Finanzierungssystem bedarf einer rechtlichen Grundlage, deren Schaffung Zeit erfordert. Deshalb bietet sich an, für eine Anlaufzeit mit dem bestehenden kurzfristigen Währungsbeistand und dem mittelfristigen finanziellen Beistand zu operieren und beide Instrumente bis zum gewünschten Betrag aufzustocken und gegebenenfalls in der Laufzeit anzupassen.

Es ist noch nicht ausdiskutiert, ob der in Bremen angestrebte Gesamtbetrag von der Gläubiger- oder von der Schuldnerseite her gesehen werden soll. Da die Gläubigerverpflichtungen im kurzfristigen Währungsbeistand das Doppelte der Schuldneransprüche betragen, ergeben sich unterschiedliche Kreditansprüche. Die Diskussion über die Hohe der Kreditansprüche wird allerdings durch die Erfahrung relativiert, die in der „Schlange“ gemacht wurde. Auch in Zeiten höchster Anspannung an den Devisenmärkten hat kein Schlangenteilnehmer jemals einen kurzfristigen Währungsbeistand oder gar einen mittelfristigen finanziellen Beistand beantragt.

Teilnehmer und Beginn

Die Bundesregierung legt großen Wert darauf, daß alle Mitgliedstaaten zum Kreis der Mitbegründer des EWS zählen. Eine Beteiligung aller von Anfang an darf allerdings nicht mit der Aufgabe der genannten Grundsätze bezahlt werden, die zur Wahrung einer angemessenen Stabilität notwendig sind.

Der Zeitplan sieht vor, daß die Staats- und Regierungschefs am 4./5. Dezember 1978 die zur Ingangsetzung notwendigen Beschlüsse fassen. Die Devisenhandler zerbrechen sich zur Zeit den Kopf über den Einstiegskurs der freifloatenden Währungen und nehmen in der Kursbildung bereits heute erwartete Verschiebungen vorweg. Da aber die Einstiegskurse nur wenig von den Marktkursen entfernt sein können, wenn nicht gleich zu Anfang interveniert werden soll, werden sich die Erwartungen auf Kursanpassungsgewinne sicherlich nicht erfüllen.

Wie bereits in Bremen angeregt, konnten während einer begrenzten Übergangszeit größere Schwankungsbreiten für einzelne Währungen angebracht sein. Die Nervosität der Devisenmärkte zu Beginn und die Ausrichtung der internen Wirtschaftspolitik auf die Anforderungen des neuen Systems konnten mit größeren Schwankungsbreiten überbrückt werden.

Verhältnis zum Dollar

Das EWS soll mehr Stabilität in die internationalen Währungsbeziehungen bringen. Dies wird ihm insoweit gelingen, wie die europäischen Länder Einfluß geltend machen können. Die Bundesregierung erhofft sich zwar eine gewisse Entlastung für den Dollar. So ist beabsichtigt, Interventionen mit Dollar innerhalb des EWS nur unter sorgfältiger Berücksichtigung der Auswirkungen für den Dollarkurs vorzunehmen. Es ist aber weder angestrebt noch realisierbar, das EWS bzw. die EWE als Kontrapunkt zum Dollar aufzubauen. Selbst bei größerer Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung wird die Gemeinschaft in absehbarer Zeit weder die Homogenität der amerikanischen Märkte noch die Wirtschaftskraft der USA erreichen. Wegen der Größe des US-Geld- und Kapitalmarktes und der etablierten Rolle des Euro-Dollarmarktes ist es natürlich, daß auch in Zukunft der Dollar seine überragende Rolle als internationale Transaktionswährung im Zahlungs- und Kapitalverkehr behalt. Es ist auf lange Zeit hinaus nicht beabsichtigt, die EWE zu einer allgemeinen Umlaufswährung auch für den privaten Zahlungsverkehr zu machen.

Der Versuch, mit dem EWS mehr Wechselkursstabilität über die Grenzen Europas hinaus zu verwirklichen, wird ohne Mitwirkung der USA nicht gelingen. Der „Riese Dollar“ darf sich nicht zu stark auf den „Zwerg EWS“ stützen wollen; das EWS wurde der Last nicht standhalten. Die heute kurzfristig disponierbaren Dollar-Mengen übersteigen bei weitem die zur Abwicklung realer Vorgänge notwendigen Beträge. Das EWS wurde mit inneren Problemen fertig, wenn diese nicht — wie bisher häufig in der „Schlange“ — durch große Dollar-Mengen verschärft würden, die von außen in der Hoffnung auf leichten Gewinn in aufwertungsverdächtige Länder transferiert werden.

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