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Den neuen Ländern muss schnell geholfen werden

71. Jahrgang, 1991, Heft 2

Ein Zeitgesprächsbeitrag zum Thema "Finanzierung der ostdeutschen Länder"

von Hans-Jürgen Krupp

Der marktwirtschaftliche Entwicklungsprozeß in den Ländern Ost-Deutschlands braucht Zeit. Zu viele Hemmnisse können nicht von heute auf morgen beseitigt werden. Besonders problematisch ist die ungeklärte Finanzausstattung des Staates auf allen Ebenen in den neuen Ländern, die dazu führt, daß die üblichen Dienstleistungen des Staates nicht in ausreichendem Maße bereitgestellt werden und der Staat als öffentlicher Auftraggeber ausfällt. Dies behindert insbesondere die Entwicklung einer mittelständischen Wirtschaft.

Hans-Jürgen Krupp, Ökonom und SPD-Politiker, war Professor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und der Technischen Universität Berlin, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 1988 wechselte er in die Politik und wurde in Hamburg zunächst Finanzsenator, ab Juni 1991  Wirtschaftssenator und 2. Bürgermeister. Von 1993 bis 2001, war Hans-Jürgen Krupp Präsident der Landeszentralbank Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank.

Foto: DIW

Die Klärung der mittelfristig notwendigen Finanzausstattung der verschiedenen Ebenen der Gebietskörperschaften in den neuen Ländern wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Es macht daher wenig Sinn, jetzt Entscheidungen für die Zeit bis 1994 zu treffen. Daß dies seriös gar nicht möglich ist, soviel sollte man aus den Erfahrungen der letzten Monate gelernt haben. Sowohl bei der Einrichtung des Fonds Deutsche Einheit als auch nach der Einigung über die Umsatzsteuerverteilung hat der Bund jeweils erklärt, daß damit der Beitrag der Länder abschließend geregelt sei. Ein drittes Mal eine derartige Endgültigkeit zu erklären, führt nicht weiter. Notwendig ist, schnell Mittel für 1991 bereitzustellen und im Laufe dieses Jahres den Rahmen für die nächsten Jahre zu entwickeln.

Der Streit um die Finanzierung der neuen Länder ist sehr unübersichtlich geworden, weil sich sehr unterschiedliche Themen überlagern, bei denen auch ganz unterschiedliche Interessen auf dem Spiel stehen. Zu einem Teil der zentralen Kontroversen sollen deshalb einige Erläuterungen gegeben werden.

Angesichts des Standes der Haushaltsberatungen in den neuen Ländern läßt sich das durch Parlamentsbeschlüsse verabschiedete Haushaltsvolumen noch nicht genau übersehen. Zusammenstellungen, die von den ostdeutschen Ländern in die Finanzministerkonferenz eingebracht wurden, lassen freilich erkennen, daß das geplante Ausgabenvolumen kritisch hinterfragt werden muß. Insgesamt liegen die geplanten Ausgaben pro Einwohner etwa auf der westdeutschen Höhe, obwohl die Gehälter im öffentlichen Bereich sehr viel niedriger veranschlagt sind. Ausgehend von dem sicher nicht haltbaren Lohnniveau im öffentlichen Bereich von 35%, mit dem aber zur Zeit gerechnet werden muß, müßten die östlichen Haushalte eigentlich um 25% kleiner sein. Dies ist nicht der Fall. Anders ausgedrückt, die Staatsquote in den neuen Ländern ist deutlich höher als bei uns. Wahrscheinlich ist dies auch in den nächsten Jahren nicht vermeidbar; man muß sich allerdings über die Gründe und die darin liegenden Probleme im klaren sein.

In den eben angesprochenen Haushaltsansätzen sind die Kosten der Preisstützungsmaßnahmen nicht enthalten. Sie betragen für die neuen Länder immerhin 27 Mrd. DM. Stellt man diese Größe dem Volumen der eben genannten Haushaltsansätze von 86 Mrd. DM gegenüber, sieht man, welche Bedeutung die Behandlung der Preisstützungsmaßnahmen hat. Die neuen Länder haben genügend Schwierigkeiten, ihren „normalen Haushalt“ zu finanzieren. Es ist nicht einzusehen, warum sie die Kosten der Preisstützungsmaßnahmen, auf die sie in der Gesetzgebung keinen Einfluß haben und die nun wirklich als Kosten des Einigungsprozesses anzusehen sind, tragen sollen. Aber auch den westlichen Ländern ist nicht zu vermitteln, daß sie ausgerechnet für derartige Kosten in Anspruch genommen werden sollen; sie erinnern sich vielmehr an die Diskussion um die Übernahme eines Teils der Sozialhilfe durch den Bund, die vor dem Strukturhilfegesetz geführt wurde.

Geht man von der an sich angemessenen Bundesfinanzierung der Preisstützungsmaßnahmen aus, verliert auch die Lücke in den Haushalten der Ost-Länder an Dramatik. Nach ihren eher niedrigen Einnahmenschätzungen betrüge der Finanzierungssaldo bei einem Haushaltsvolumen von 86 Mrd. DM mit 22,8 Mrd. DM etwa ein Viertel. Das ist zwar deutlich mehr, als im Westen üblich; auf der anderen Seite gibt es nicht den immensen Schuldenstand, dessen Zinsbelastung die Haushalte der westlichen Länder in ihrem Handlungsspielraum einengt. Dessen ungeachtet ist eine weitere Mittelzuführung auch für den „normalen“ Teil des Haushalts notwendig.

Sehr schwer einzuschätzen ist der Bedarf der kommunalen Haushalte. Die in den Länderhaushalten eingeplanten 13,6 Mrd. DM werden nicht ausreichen, insbesondere da ein Teil der Gemeindesteuern in den neuen Ländern nicht erhoben wird. Wahrscheinlich wären sie aber auch nicht ergiebig.

Nicht nachvollziehbare Zahlen

Die Erweiterung des Bundesgebietes bringt auch für den Bund zusätzliche Ausgaben. Bedauerlicherweise ist das Volumen dieser Ausgaben noch nicht bekannt, da der Entwurf des Haushaltsplans 1991 noch nicht vorgelegt wurde. Vor diesem Hintergrund nennt der Bund als Größenordnung für seine Belastung Bruttobeträge von 45 Mrd. DM für 1990 und 115 Mrd. DM für 1991. Diese Zahlen sind für den Außenstehenden nicht nachvollziehbar. Aber selbst wenn man einmal von diesen Größen ausgeht, sind Einnahmen des Bundes aus den neuen Ländern und mögliche Entlastungen gegenzurechnen, um eine mit den Ausgaben der Westländer vergleichbare Belastung zu erhalten. Außerdem ist deutlich zu machen, in welchem Umfang es letztlich um Probleme der Sozialversicherung geht.

Bei den Entlastungen sind hier nur diejenigen Einnahmen und Einsparungen berücksichtigt, die tatsächlich zu erwarten sind. Nicht einbezogen ist der überwiegende Anteil der möglichen Einsparungen wegen Wegfall der Teilung, die aber nicht realisiert werden. Immerhin hat der Bundesfinanzminister diese Beträge ursprünglich mit 40 Mrd. DM pro Jahr beziffert.

Forderungen an die westlichen Länder nach höherer Beteiligung an der Finanzierung der Deutschen Einheit werden häufig mit den hohen Ausgaben des Bundes für diesen Zweck und den niedrigen der Länder begründet. Zu den Ausgaben des Bundes deuten neueste Informationen darauf hin, daß ein Großteil der dafür veranschlagten Beträge nicht einmal abgeflossen ist. Ein weiteres Problem liegt darin, daß der Bund die in seinem Haushalt stehenden kreditfinanzierten Beträge mit ihrem Bruttovolumen einstellt, während er die über den Fonds Deutsche Einheit aufgenommenen, ebenso kreditfinanzierten Beträge der westlichen Länder lediglich mit ihren Schuldendiensten einstellt. Da der Schuldendienst nur 10% des übertragenen Betrages ausmacht, werden durch dieses Verfahren die Beiträge der Länder systematisch unterzeichnet. Ökonomisch handelt es sich aber um den gleichen Sachverhalt: ein Transfer wird aus Krediten finanziert. Ob dieser Kredit vom Bundeshaushalt oder vom Fonds Deutsche Einheit aufgenommen wird, macht ökonomisch keinen Unterschied. Man muß sich daher entscheiden, entweder eine Bruttorechnung durchzuführen, in der das aufgenommene und transferierte Kreditvolumen ausgewiesen ist, oder eine Nettorechnung, die nur auf den Schuldendienst abstellt. Wie immer man rechnet, die Beiträge der Länder sind geringer als die des Bundes, aber sie liegen von diesen bei weitem nicht so weit entfernt, wie der Bund immer wieder darstellt.

In der Bruttorechnung sind gegenüber der obigen Rechnung die Leistungen mit den Werten angesetzt worden, die den Zahlungen des Fonds Deutsche Einheit entsprechen (d.h. + 10 Mrd. DM in 1990 und + 16,5 Mrd. DM in 1991). Im übrigen nimmt die Belastung des Bundes - im Gegensatz zu der der Länder - in den folgenden Jahren kontinuierlich ab.

Kein Zweifel sollte daran bestehen, daß der Bund stärker belastet werden kann als die Länder. In der Diskussion wird häufig übersehen, daß er von der Deutschen Einheit auch in höherem Maße profitiert. Der weitaus größte Teil der möglichen Entlastungen (nach Bundesfinanzminister Waigel 40 Mrd. DM pro Jahr) fällt beim Bund an. Darüber hinaus kommt auch die Entwicklung der Steuereinnahmen im wesentlichen dem Bund zugute. Der Hauptgrund dafür liegt im Zusammentreffen von Steuerreform im Westen und Umsätzen der westdeutschen Wirtschaft aufgrund der Entwicklung im Osten. Die auf die Deutsche Einheit zurückgehenden Verbesserungen der Ertragssituation werden für die öffentlichen Haushalte im wesentlichen durch die Effekte der Steuerreform kompensiert. Lediglich die Zunahme der Umsatzsteuern, an denen der Bund mit 65% und die Länder mit 35% beteiligt sind, führt zu einer wirklichen Verbesserung der Steuereinnahmen. Inzwischen liegen erste vorläufige Ergebnisse für das Jahr 1990 vor, die die Dramatik dieser Entwicklung deutlich machen. Danach sind die Steuereinnahmen des Bundes von 1989 auf 1990 um 4,8% gestiegen, die der Länder nur um 1,1%. Legt man die Nettorechnung, d.h. die tatsächliche Belastung der Betriebshaushalte mit Schuldendiensten zugrunde, bedeutet dieses, daß die Länder 52% ihrer Steuermehreinnahmen für die Finanzierung der Deutschen Einheit verwendet haben, der Bund dagegen nur 36%. Der Bund hat also von dieser Entwicklung ungleich mehr profitiert als die Länder, da er einen wesentlich kleineren Teil seiner Steuermehreinnahmen eingebracht hat als die Länder.

Fonds Deutsche Einheit

Nun wird häufig so getan, als ob die alten Länder den neuen die Segnungen des Finanzausgleichs vorenthalten hätten. Dies ist nicht richtig. Durch den Fonds Deutsche Einheit und die Regelungen zur Umsatzsteuerverteilung erhalten die neuen Länder-jedenfalls 1991 - nicht weniger, als sie bei einer Anwendung des Länderfinanzausgleichs erhalten hätten, wobei darauf verwiesen werden muß, daß es nicht möglich ist, diese Größe genau zu errechnen. Die hierfür notwendigen Informationen liegen nicht vor. Der Länderfinanzausgleich findet also in Form des Fonds Deutsche Einheit und der Umsatzsteuerverteilung statt. Die Gründe für diese Ausgleichskonstruktion liegen im Westen: Einmal sind die zusammengefaßten Effekte der verschiedenen Ausgleichsmechanismen für Disparitäten von der Größenordnung, wie sie nun zwischen Ost und West vorliegen, nicht gemacht. Die Ergebnisse lassen sich kaum rational erklären. Bei der mechanischen Anwendung der Ausgleichsmechanismen könnte man weder generell sagen, daß die Last nur die armen Länder tragen, noch daß dies die reichen tun. Bei außerordentlichen Belastungen muß die Möglichkeit bestehen, einen Ausgleichsmechanismus zu wählen, dessen Ergebnis rational interpretierbar ist. Zum anderen mindert das gefundene Verfahren die Probleme der Länder, die an den Grenzen der Möglichkeiten ihrer Kreditaufnahme stehen. Ökonomisch ist es kein Unterschied, ob die Länder oder der Fonds Deutsche Einheit einen Kredit aufnehmen. Für die Länder, die schon heute an der Grenze ihrer Kreditaufnahmemöglichkeit sind, macht dies aber einen Unterschied.

Gegen den Vorschlag, der zum Beispiel von Hamburg unterbreitet worden ist, 1991 den Fonds Deutsche Einheit von 35 Mrd. DM um 6 Mrd. DM auf 41 Mrd. DM aufzustocken, ist eingewandt worden, hier handele es sich um eine weitere Kreditfinanzierung. Dies ist allerdings eine sehr theoretische Diskussion, da die meisten Landeshaushalte inzwischen verabschiedet sind und direkte Transfers an die neuen Länder auch nur kreditär finanziert werden könnten. Es spricht einiges für die Vermutung, daß das Argument gegen die Kreditfinanzierung vorgeschoben war. In Wirklichkeit ging es um die Beteiligung des Bundes, die bei einer Aufstockung des Fonds gefordert wurde.

Als Alternative zur Aufstockung des Fonds wird eine Einbeziehung der neuen Länder in den Umsatzsteuerausgleich gefordert. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Regelungen des Grundgesetzes an dieser Stelle Probleme regionaler Zurechnung mit denen einer gewissen Umverteilung verbinden. Das Problem der regionalen Zurechnung ließe sich allerdings im Fall der neuen Länder anhand makroökonomischer Größen regeln. Dieses ist auch als Alternative zu der prozentualen Einbeziehung der neuen Länder in die Umsatzsteuerverteilung diskutiert worden. Herausgekommen ist eine Lösung, die zwar sachlich unter dem Gesichtspunkt der korrekten regionalen Zurechnung des Umsatzsteueraufkommens immer noch eine erhebliche Begünstigung der neuen Länder darstellt. Dennoch erscheint diese Lösung für viele angreifbar, obwohl das Umverteilungselement, das hier zu diskutieren wäre, im Fonds Deutsche Einheit enthalten ist.

Als Alternative zur Aufstockung des Fonds Deutsche Einheit wird daher auch weiterhin eine Einbeziehung der neuen Länder in die normale Umsatzsteuerverteilung diskutiert werden. Der sich hier ergebende Beitrag der Länder ist von einer Größenordnung, die in vielen Ländern zu zusätzlicher Kreditaufnahme führen wird. Angesichts der Dringlichkeit der zu lösenden Probleme macht es aber keinen Sinn, den Grundsatzstreit weiterzuführen. Wenn sich für diese Lösung eine breite Mehrheit von Bund und Ländern finden läßt, wird man auch damit leben können.

Notwendige Bundesbeteiligung

Alte und neue Länder wären allerdings gut beraten, auch den Bund nicht aus seiner Verantwortung zu entlassen. Wenn die westlichen Länder einen beachtlichen Teil ihres Umsatzsteueraufkommens abgeben, sollte dies auch der Bund tun. Die Belastung der neuen Länder mit Ausgaben, die einigungsbedingt sind und in den normalen Haushalten nichts zu suchen haben, ist erheblich -oben wurden die Preisstützungsmaßnahmen erwähnt und ähnliches gilt für die Bereiche der sozialen Sicherung. Eine Bereitschaft der alten Länder, einen wesentlichen Beitrag zur Stützung der neuen Haushalte zu leisten, sollte daher begleitet sein von einer ins Gewicht fallenden Entlastung der Haushalte der neuen Länder von übergangsbedingten Kosten. Ein solches auch weiterhin starkes Engagement des Bundes ist angemessen, da er, wie das Ergebnis 1990 zeigt, von den Mehreinnahmen am meisten profitiert und darüber hinaus die größten Entlastungspotentiale wegen Wegfalls der Teilung hat.

Letztlich kann nämlich an einem ökonomischen Sachverhalt kein Zweifel sein: Die Entwicklung in den neuen Ländern hat den alten Ländern erhebliche Wachstumsimpulse beschert. Diese werden abreißen, wenn es nicht gelingt, die Erträge dieses Wachstums in die neuen Länder zu bringen. Der privatwirtschaftliche Prozeß leistet dieses zur Zeit offenkundig nicht. Es ist daher Aufgabe des Staates, für diesen Transfer zu sorgen. Das bedeutet, daß auf den Einigungsprozeß zurückgehende Steuereinnahmen in den neuen Ländern eingesetzt werden sollten. Nur wenn wir dieses tun, können wir damit rechnen, daß der Entwicklungsprozeß in den neuen Ländern vorankommt. Diese Regel gilt sicher für die Länder Westdeutschlands. Sie gilt aber genauso für den Bund. Neue und alte Länder sollten gemeinsam Regelungen suchen, die nicht nur einen Ausgleich innerhalb der Länder darstellen, sondern auch die weitere Beteiligung des Bundes an dieser herausfordernden Aufgabe sicherstellen.

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